Unternehmen Wahnsinn
sogenannte Potenzialförderung, dann ist er vom Chef oder der Abteilung Personalentwicklung frühzeitig in solche Gremiensitzungen als Reality-Training geschickt worden, um sichtbar zu werden (»Visibility«) und sich zu bewähren. Denn nur da gibt es die relevanten Spiegel, die relevante Resonanz geben.
»X war gar nicht schlecht«, lautet die ultimative glücksverheißende Nebenbemerkung einer leitenden Führungskraft über den Kollegen der mittleren Ebene, die diesen quasi für die nächste Runde qualifiziert. Je mehr solcher Veranstaltungen X für sich entscheiden kann, desto mehr Preisgeld und bessere Verträge winken.
Die permanente Imagepflege ist nichts weniger als schiere Notwendigkeit. Gegen die Not des Vergessens. Die aktuellen Arbeitskontexte wechseln so rasant, dass sich kein bleibender Eindruck langfristig aufbauen lässt. Vierteljährlich kommen neue Mitarbeiter, Chefs, Kollegen, Projektverantwortliche, Kunden. Es herrscht epidemische Erinnerungslosigkeit. Immer wieder muss man neu anfangen. Es ist unmöglich, sich dauerhaft in einem nicht mehr vorhandenen kollektiven Gedächtnis zu etablieren. Zumal bei der unübersichtlichen Konkurrenzlage.
Für alle gilt dabei dieselbe Regel: Ich beeindrucke, also bin ich. Oder: Ich produziere, also produziere ich – mich.
Selbsterregung ohne Ende?
Was kann man nun als Folgephänomene dieser Selbsterregungskreisläufe beobachten? Sie bedeuten erstens, dass jeder wie ein Stromgenerator immer selber dafür sorgen muss, am Laufen, sprich im Bewusstsein der anderen zu bleiben. Es kommt keine Zufuhr von anderswo her. Das ist die Anstrengung, die zur sonstigen »Arbeit« dazukommt und ohne die diese wertlos (weil bewertungslos) bleibt.
Zweitens: Es kommt zu den bereits erwähnten Rückkoppelungsprozessen. Denn alle tun es. Alle beeindrucken sich permanent gegenseitig. Die Resonanzen verstärken die Resonanzen, bis der Lautsprecher anfängt zu pfeifen. Die Spiegel spiegeln sich gegenseitig, und wir finden uns in einem Spiegelkabinett wieder, das kaleidoskopartig alle Bilder zu einer unendlichen Illusion vervielfältigt. Unendliche Fluchten tun sich auf – aber kein Ausweg, nirgends.
Computer wirken in diesem Sinne als Trendverstärker. Ihre Algorithmen vervielfachen eine Mücke so oft und so schnell, dass daraus in Sekunden eine wildgewordene Elefantenherde werden kann. Auch unsere medial hochgerüsteten Meinungsmärkte funktionieren als gigantische Rückkopplungsmaschinen. Gerüchte vervielfältigen sich und katapultieren sich in immer neue Umlaufbahnen. Hypes werden so geboren. Zuerst gilt es, sie auszulösen, dann sie zu benutzen, schließlich, nicht unter einem von ihnen begraben zu werden.
Denn hier lauert eben auch die Gefahr für die Dauer-Image-Pfleger: eine falsche Geste – und die Spiegel wiederholen endlos diese eine falsche Bewegung. Wer dann zum Ausgang des Kabinetts rennen will, knallt nur an den nächsten Spiegel und holt sich eine blutige Nase. Der Pullitzer-Preisträger Daniel J. Boorstin 7 hat in seinem Buch »The Image« bereits Anfang der 60er-Jahre diesen Vervielfältigungs-Effekt einen »Pseudo-Event« genannt. Er sprach von den sogenannten Prominenten, die nur bekannt für ihre Bekanntheit waren und für sonst nichts. Inzwischen gibt es diese Prominenz nicht nur in den Vorabendserien und Shows im Fernsehen, sondern sie tanzen durchs Hauptprogramm der besten Unternehmen. Niemand weiß genau, was die Besagten eigentlich können – aber sie werden permanent in den relevanten Business-Kreisen genannt. Und das macht Eindruck. Die müssen einfach unglaublich was drauf haben, so präsent wie sie sind.
Solche Illusionen durch Rückkopplungsprozesse sind übrigens nicht nur mit Personen, sondern auch mit Daten zu veranstalten. Ausgewählte Zahlen-Kombinationen müssen nur häufig genug hin und her projiziert werden, schon entsteht eine überwältigende und sich selbst verstärkende Pseudorealität. Ein Fake.
7 Daniel J. Boorstin: The Image: A Guide to Pseudo-Events in America . Vintage Books 1992.
Symptom 5: Logische Umkehrungen
Es treten auf: der mächtige Überstrahleffekt, grobe Denkfehler, tolle Trugschlüsse und der ungesunde Menschenverstand
Traditionellerweise braucht ein Manager Zeit, um gute Resultate zu erreichen. Inzwischen braucht er zuerst die richtigen Resultate, um Zeit zu bekommen. Im Profifußballgeschäft ist diese Mechanik bereits seit Langem etabliert: Gewinnt ein neuer Trainer das erste Spiel, kann er etwas durchatmen;
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