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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Donnerstag also auch bei Wasser und Brot zu verbringen.
    Die Fundamentalistinnen schauen einander an. Ich bilde mir ein, in ihren Augen einen Entschluss aufleuchten zu sehen. Gütiger Heiland, die sind sowieso schon so dürr. Die Fundamentalistenmutter hat im übrigen auf jede Frage, die die Schwester an die Zuhörer richtet, eine Antwort, die Frau ist theologisch total auf zack.
    »Wissen Sie, warum so viel Unglück in der Welt ist?«, fragt Schwester Annalinda Antilopa in den Saal, und ehe ihr die Fundamentalistenmutter zuvorkommen kann, gibt sie gleich selbst die Antwort:
    »Weil es in unserer Zeit am wichtigsten überhaupt mangelt: dem Gebet. Das Gebet – heilt. Das Gebet – hilft. Das Gebet – reinigt. Das Gebet – rettet. Warum gibt es so viele Arbeitslose? Weil die Menschen verlernt haben zu BETEN ! Warum bringen wir unsere Sorgen nicht der Muttergottes, damit sie sich ihrer annehme? Warum gehen wir nicht zu ihr und sagen: Mama, hilf mir! Mama, bitte, hier bringe ich dir meine Sorgen! Hilf mir, ich bin traurig, hilf mir, ich habe keine Arbeit, hilf mir, Mama, ich komme nicht zurecht!«
    Man muss sich das mit einem wohlgesetzten Wechsel in der Lautstärke vorstellen, mal flüstert sie, mal donnert sie die Worte nur so in den Raum. Auf diese Weise schafft sie es auch, ihre andächtigen Zuhörer davon zu überzeugen, es würde Vollbeschäftigung herrschen, wenn die Leute bloß mehr beten würden.
    Nun spricht sie über Wunderheilungen, die sie, vorsichtig ausgedrückt, in den Bereich des Möglichen rückt. Manmüsse um die Heilung bitten, dann würde sie auch gewährt werden.
    »Aber wenn jetzt Gott nicht heilt, trotz Ihrer Gebete, was ist dann? Dann ( kurze Pause, Flüstern ) haben Sie eine besondere Berufung. Welche? DIE BERUFUNG ZUM KREUZ !«
    Mir rinnen Schauer über den Rücken. Die Zuhörer hängen an den Lippen der Schwester.
    » PREISE DAS LEIDEN, WENN DAS LEIDEN DAZU FÜHRT, DASS DU ZU GOTT SCHREIST !«
    Unwillkürlich frage ich mich, ob es eine gute Idee wäre, sie an den Haaren zu packen und zu ziehen, bis sie anfängt zu schreien. Ich schreibe ein paar Freunden eine SMS . Als ich aufschaue, bemerke ich, dass die Greisin aus unserer Gruppe eingeschlafen ist. Ich schreibe noch eine SMS . Und noch zwei. Die Klimaanlage macht mir zunehmend zu schaffen, es zieht von rechts und links, und die Luft ist viel zu kalt, außerdem hat jemand gefurzt. Mit einem Ohr höre ich weiterhin zu, das zweite kommt jedoch nicht mehr mit.
    »… und deswegen ist die Beichte so wichtig. Die Seherinnen sehen die Muttergottes ja nicht wie eine Vision, sondern leibhaftig, wie sie Sie oder mich sehen. Sie ist angezogen wie auf den Bildern, trägt ein weißes, weites Kleid, und sie ist etwa sechzehn, siebzehn Jahre alt.
    Einmal hat die Muttergottes erlaubt, dass andere Menschen außer den Seherinnen und Sehern sie berühren. Die Seher haben die Hände dieser Menschen genommen und der Muttergottes auf den Bauch gelegt. Am Ende war das schöne weiße Kleid der Muttergottes GANZ SCHMUTZIG ! Und die Seherin ist auf die Knie gefallen und hat zu weinen begonnen und gefragt: ›Mama, was ist mit dir?‹ Und die Muttergottes hat geantwortet: ›Das sind die UNGEBEICHTETEN SÜNDEN DER MENSCHEN , die mich berührt haben!‹«
    »Jöööh«, macht die Greisin, die soeben aufgewacht ist.
    Auch der Liliputaner schnappt nach Luft. Alle sind sichtlich ergriffen. Schwester Annalinda flüstert:
    »Ja, und deshalb ist die Beichte so wichtig.«
    Ich bin dann so weit, mich zu verabschieden, aber gerade jetzt trudeln Reaktionen auf meine Kurznachrichten ein, die ich gleich beantworte. Danach höre ich, wie die Schwester von der Kommission spricht, die der Vatikan eingesetzt hat, um die Phänomene von Medjugorje zu überprüfen. Sie hofft sehr, dass die Mitglieder dieser Kommission überzeugt werden können und der Amtskirche empfehlen werden, Medjugorje als Wunder- und Wallfahrtsort offiziell anzuerkennen. Wie die Mitglieder aussehen und wer sie sind, weiß jedoch niemand. Es kann sogar sein, dass einer von ihnen sich gerade im Raum befindet.
    Ich überlege, wie ich es anstellen könnte, von  ihr für so einen Kommissionsmenschen gehalten zu werden, das wäre komisch. Aber ich glaube, das schaffe ich nicht.
    »Als besondere Aufgabe als Ordensschwester habe ich mir gewählt, für die Juden zu beten. Ich bete täglich für sie. Es kommen Ungläubige, Sufis, Chinesen, Moslems hierher nach Medjugorje, aber leider keine Juden. Ich freue mich über

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