Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
Vom Netzwerk:
verstehe, jedenfalls von der italienischen Predigt. Es geht immerzu darum, dass Jesus der Friede ist und die Liebe, dass er uns ins Licht führt und dass er das Licht ist, und an dieser Stelle beginnt die Geschichte von vorne.
    Ingo und ich treffen wieder aufeinander. Ich weiß nicht, was er gesehen hat, doch unter seinem Auge zuckt es wild. Er ist nicht ansprechbar. Wir gehen einmal um den Platz herum und stoßen auf der anderen Seite wieder zum Altarpodium. Ich sehe einige Knierutscher. Die Menge singt. Alte Leute, junge Leute, normale Leute, Kinder. Ich fühle mich einsam.
    Neben der Kirche stehen Menschen in Schlangen. An der Kirchenmauer sitzen zehn, zwölf Priester auf Klappstühlen, neben ihnen stehen Schilder, die die Sprache anzeigen, in der bei ihnen gebeichtet werden kann. Ein vollbärtiger Beichtvater sieht mich streng an. Über mir jault eine Kastratenstimme aus einem Lautsprecher:
    »Gesuuuu, tu sei la paaaace! Gesuuuu, tu sei la paaaaceeeee!«

7. Kapitel
    Flucht? – »Tomy ist in Split!« – Opodo? Cevapcici! – »Ich kneife nicht« – Die Mutter aller Anginas – Die dümmste Stimme der Welt – Pater Slavkos letztes Gebet – Freundschaften – »Des Menschen Wille ist sein Himmelreich« – Die Feigen meines Vaters – In der Apotheke
     
    Ich gehe stampfenden Schrittes ins Restoran Pivnica und ordere bei meinem Kellner einen vierfachen Cognac und ein Bier. Ingo kommt wenige Minuten später, wirft einen Blick auf die Gläser vor mir und nickt stumm.
    »Ich will hier weg«, sagt er.
    »Am Sonntag«, sage ich.
    »Im Ernst«, sagt er. »Ich muss weg.«
    »Wieso, ist Tanja schon auf dem Weg ins Krankenhaus?«
    »Nein, aber egal. Ich muss weg. Ich halte das nicht mehr aus. Ich halte nichts hier aus. Das ist der schrecklichste Ort, an dem ich je war.«
    Weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, schreibe ich eine kurze SMS an meine Frau und rufe meine Mails ab.
    »Ich will hier weg«, fängt Ingo wieder an. »Tomy ist in Split. Fahren wir zu ihm. Fliegen wir von Split nach Wien. Ich kann nicht mehr in diesen Bus einsteigen. Nie mehr. Ich fahre sicher nicht mit denen nach Wien zurück. Lass uns schauen, ob wir einen Flug kriegen.«
    »Ingo, wir wollten wissen, wie es hier zugeht …«
    »… das wissen wir jetzt! Ich weiß alles!«
    »… und ich glaubs noch nicht.«
    »Wir fahren morgen Nachmittag mit dem Taxi nach Split. Übermorgen fliegen wir. Dann hast du noch morgen den ganzen Tag hier. Kannst auf den Berg gehen und Tralala. Das reicht doch!«
    Der Kellner bringt ungefragt die nächste Runde. Er nennt mich wieder Bruder und gibt mir einen Klaps auf die Schulter. In gewisser Weise ist er der netteste Mensch, den ich in Medjugarje getroffen habe.
    »Ich will weg«, sagt Ingo. »Ich muss weg, ich bleibe keine vierundzwanzig Stunden mehr.«
    Ich merke, dem ist es ernst. Und über seinen Vorschlag kann man zumindest einmal nachdenken. In Wahrheit will ich ja auch weg. Eigentlich wollte ich über diese Pilgerreise etwas schreiben, aber gut, dann lasse ich es eben, ich schreibe sowieso zu viel. Außerdem macht mir mein Herzrasen Sorgen, ich weiß nicht, ab wann das bedenklich wird. Hier kann ich jedenfalls nicht auf Besserung hoffen.
    Ich schlucke zwei Xanor und spüle sie mit Bier hinunter. In den nächsten fünf Minuten lasse ich die Finger vom Cognac.
    »Okay«, sage ich. »Wir probieren es. Wenn wir einen Flug kriegen, fahren wir nach Split. Andernfalls bleiben wir da.«
    »Ich bleibe nicht! Ob wir ein Flugzeug kriegen oder nicht! Notfalls fahre ich mit dem Zug! Oder mit dem Taxi!«
    Mit unseren Handys suchen wir im Internet nach Flügen für den Samstag. Der erste, der mir angezeigt wird, kostet 2000 Euro. Danach kommen ein paar billigere Angebote. Dennoch kostet kein Flug weniger als 800 Euro.
    »Den nehmen wir!«, brüllt Ingo, und eine alte Frau, die an ihm vorbeigeht, zuckt zusammen.
    »Wie wäre es, wenn wir noch Alternativen …«
    »Den nehmen wir! Das sind alles Wahnsinnige! Wir müssen weg!« Er schreit so laut, dass man es auf der anderen Straßenseite hören kann, die Leute drehen sich um und schauen zu uns herüber.
    »Jetzt beruhige dich doch«, sage ich halblaut, aber Ingo ist schon aufgesprungen und schwingt sich seine Fototasche so energisch über die Schulter, dass sie im Gesicht einer alten Frau landet, wenigstens ist es nicht dieselbe wie letztens. Erschrocken entschuldigt er sich. Nun ist er etwas zugänglicher.
    »Erst essen wir. Dann suchen wir ein Internetcafé und buchen den

Weitere Kostenlose Bücher