Unterwegs im Namen des Herrn
Knia auffi. Prost!«
»Prost. Was tun sie?«
»Sie rutschen auffi. Stundenlaung. Bei der Mess gibt’s a immer wölchane, de auf die Knia viarirutschen, owa do oben aum Berg is no ärger.«
Ich lege Geld auf den Tisch und bitte Ingo, für mich zu bezahlen, denn ich will den Vortrag von Schwester Annalinda Antilopa nicht verpassen.
»Heast! Wart auf mi! Gehst du zu den Vurtrog? I hurch mir des a aun! Kemma zaumm gehen!«
Ich sehe noch Ingos schiefes Grinsen, dann befinde ich mich auch schon an der Seite des Tennislehrers auf der Hauptstraße. Um diese Zeit knallt hier die Sonne erbarmungslos herunter. Es hat nun die versprochenen 39 Grad, wie eine Messsäule neben der Apotheke anzeigt, und ich ärgere mich, zu Hause keine passende Kopfbedeckung gefunden zu haben, denn es besteht kein Zweifel daran, dass ich mir gerade einen Sonnenbrand auf der Glatze einfange.
Ich marschiere neben dem Tennislehrer einher, der mich mit Anekdoten aus seiner steirischen Heimat unterhält. Zögernd frage ich ihn, ob er wisse, worum es bei diesem Vortrag geht, und stelle fest, dass er erstaunlich gut informiert ist, jedenfalls besser als ich. Leider will sich in meinem von der Hitze etwas beeinträchtigten Kopf kein rechter Sinn einstellen, und irgendwann gebe ich es auf, dem geläuterten Frauenverführer zuzuhören.
Beim Vortrag treffe ich auf einige bekannte Gesichter. Die Greisin ist da, die Fundamentalistinnen sind da, die Psychiaterin ist da, der Liliputaner ist da. Den Rest der etwa fünfzehn Leute kenne ich nicht, auch der Reiseleiter ist nirgends auszumachen. Ich setze mich an die Tür, von wo ich unauffällig verschwinden kann, sollte es unangenehm werden.
Die Klimaanlage wäre bereits ein Grund zu gehen, denn die schaufelt Wellen kalter Luft in den Raum, und ich habe keine Lust auf Angina. Die kriege ich ständig, und ich kriege sie meistens von Klimaanlagen, diesem Spielzeug der dummen Menschen, dieser Geißel der modernen Welt, dem schlimmsten Feind meiner Mandeln sowie jedes auch nur halbwegs anständigen Menschen.
Schwester Annalinda Antilopa sieht genauso aus, wie sich jemand wie ich jemanden wie sie vorstellt. Sie sitzt vor uns wie am Schulkatheder, wartet eine Weile, fragt dann, ob jemand die Tür schließen könne, was der Tennislehrer erledigt, und bittet sogleich zum Gebet. Ich habe niemanden, hinter dem ich mich verstecken könnte, aber das ist mir jetzt egal. Vermutlich falle ich diesen Menschen sowieso auf Schritt und Tritt negativ auf. Sie fallen mir aber auch auf Schritt und Tritt negativ auf. Nämlich durch ihre Gesichter.
Das ist es: Mich machen diese harten Gesichter mittlerweile aggressiv. In keinem Gesicht erkenne ich das, was ich erwartet habe, nämlich mindestens Offenheit und Freundlichkeit, wenn schon keine Liebe. Hier haben alle diesen harten Blick, mit Ausnahme der Psychiaterin und des Tennislehrers, und beide gehören eigentlich nicht hierher. Ich habe hier noch immer keinen einzigen Menschen gesehen, der Lebensfreude ausstrahlt oder zumindest das Gefühl vermittelt, er würde seinen Brüdern und Schwestern im Glauben mit Sympathie begegnen. Die hier, die mögen überhaupt niemanden, das sind bloß verstörte und verängstigte, im Grunde ganz rohe Seelen.
Während ich so meinen Betrachtungen über die Ausstrahlung der Pilger im allgemeinen nachhänge, schreitet der Vortrag voran. Die Schwester erzählt gerade von ihrer Berufung, und wir erfahren, dass sie eine zölibatär lebende Volksschullehrerin war, ehe eine Freundin ihren Mazda 323 um einen Baum gewickelt hat und ihr die Bude abgebrannt ist, woraufhin sie sich von Gott berufen gefühlt habe (»Jöööh!«), was ich durchaus nachvollziehen kann. Davon hätte ich gern mehr gehört, doch sie schweift wieder ab zur Beichte und allem nur erdenklichen Sündenzeug, weswegen sie mich nun vor allem mit ihrer Rhetorik in den Bann schlägt, denn die ist bemerkenswert. Die Frau wurde definitiv dafür ausgebildet, solche Vorträge zu halten, die kann das wirklich, und ein labiler Mensch mit entsprechender Glaubensdisposition wird von ihr garantiert erreicht und berührt und vielleicht sogar erschüttert werden.
Der Schnaps, die Hitze, die Müdigkeit, ich kriege nicht alles mit. Inzwischen geht es um das Fasten. Mittlerweile habe ich schon kapiert, dass es unter manchen dieserMenschen üblich ist, mittwochs und freitags zu fasten. Die Schwester erzählt von einem Pfarrer, der seine Gläubigen ermuntert hat, von Mittwoch bis Freitag durchzufasten, den
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