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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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ich erzähle ihr von hier und von der Angina. Nachdem ich erklärt habe, ich hätte diese Krankheit von der Hexe, die ich nur unter dem Namen Annalinda Antilopa kenne, erschaudert Dita, murmelt etwas und macht komische Handbewegungen, worauf Nina in Lachen ausbricht. Ich frage, was los sei, aber Dita will es mir nicht sagen. Aufklärung bekomme ich erst von Nina: Dita glaubt, man dürfe nicht einmal das Wort Hexe aussprechen, und hat deshalb sofort mit einem Gegenfluch oder Zauberspruch reagiert.
    Ingo beginnt zu fotografieren. Der Tennislehrer kommt herbei und setzt sich zu meiner Halbschwester. Aufgrund ihrer stark voneinander abweichenden Interpretation der deutschen Sprache erweist sich die Kommunikation zwischen ihnen als schwierig. Ingo fotografiert Nina mit dem Tennislehrer, während durch meinen Kopf verworrene Gedanken ziehen.
    Mein Vater berichtet, er hätte ein günstiges Taxi aufgetrieben. Der Tennislehrer hat eindeutig zu alten Gewohnheiten zurückgefunden, denn vor Nina und ihm steht je ein Glas Caipirinha. Mein Vater beobachtet die Szene vollkommen gelassen, er ist bei sexuellen Dingen unüberbietbar tolerant. Er wird erst nervös, als sich ein paar betrunkene einheimische Flaumbartträger vom Nebentischanfangen einzumischen. Darin unterscheiden wir beide uns voneinander: Ich fürchte mich weniger vor Menschen, ich fürchte mich nur maßlos vor Gespenstern.
    Sowohl der Tennislehrer als auch unsere neuen Freunde vom Nebentisch sind sehr enttäuscht, als sich Nina, Dita und Denis verabschieden. Wir umarmen uns, es war ein zu kurzes Treffen, aber wir müssen nach Split. Über die Schulter rufe ich dem Tennislehrer zu, er solle noch einen Moment warten. Nachdem die Abschiedsszenen mit der Familie über die Bühne gebracht sind, gebe ich ihm den Haustorschlüssel zum Hotel.
    »Super! Des ist super! Aber i weiß gar nicht, wo i hinsoll aum Obend! So schöne Madln wie dei Schwester gibts da nirgends!«
    Dita winkt mir verschwörerisch. Ich schleiche mich zu ihr, während mein Vater Denis Anweisungen für die Taxifahrt gibt.
    »Du musst Franjo überreden, dass er in Split schläft!«
    »Was?«
    »Er hat getrunken. Und die Fahrt ist lang, er wird müde sein.«
    Ich bin mir wirklich nicht sicher, was ich davon zu halten habe, dass ich mit einem übermüdeten Betrunkenen 130 Kilometer nach Split fahren soll? Na ja, warum eigentlich nicht.
    Meinem Vater fällt erst jetzt auf, dass wir kein Gepäck haben. Er fährt uns die fünfzig Meter zum Hotel. Das ist auch gut so, denn ich hätte es zu Fuß nicht mehr geschafft.
    Ingo ist so nett, meinen Koffer herunterzubringen, dafür übernehme ich die Schlüsselübergabe. Der Hotelwirt sitzt eingesunken da und beobachtet, wie ich durch den Raumstreife, der in größeren Häusern als Lobby bezeichnet wird. Die Schaukästen an der Wand haben es mir angetan. Überall hängen Fotos vom Reiseleiter. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass der Reiseleiter eines Tages direkt in die Heiligkeit eingehen wird.
    Wahllos ziehe ich nochmals einige der Broschüren heraus und stecke sie ein, gerade als Ingo schreiend mit dem Gepäck aus dem Lift poltert. Er lässt einige grauenhafte Flüche vom Stapel, wirft mir den Schlüssel zu und sagt nichts mehr. Ich verfehle den Schlüssel und bekomme ihn auf die Nase. Ich sage auch nichts, ich gehe damit zum Hotelwirt, der, mit der Fliegenklatsche bewaffnet, irgendeinen Punkt neben mir fixiert.
    »Wir ziehen aus, wir fahren weiter«, sage ich, »aber es liegt nicht an Ihnen, nicht dass Sie glauben … Sie haben keine Schuld, Ihr Hotel gefällt uns gut.«
    Es ist ihm sichtlich egal, was ich zu sagen habe, er hängt den Schlüssel an den Haken. Ich sage auf Wiedersehen, er brummt etwas, und wir sind draußen.

8. Kapitel
    Heiliger Gegenverkehr – Mein Vater betrunken – Fleischduft aus dem Kofferraum – Wir erreichen Split – Mein Vater türmt – Der rätselhafte Ivica – Karl Koks – »Bin ich Krankenschwester!« – Die Kampfhunde – Perlen des verwundeten Herzens
     
    Der erste Teil der Fahrt ist geprägt von Diskussionen über meine Bierdose, weil mein Vater Angst hat, ich könnte etwas auf dem Sitz verschütten, und vor allem über die Klimaanlage. Ich bin selbstverständlich vehement dagegen, sie anzumachen, die anderen ebenso vehement dafür, was sie mir mit kernigen Worten vermitteln, wofür ich ein gewisses Verständnis aufbringe, weil es draußen 41 Grad hat. Mein Vorschlag, die Fenster zu öffnen, wird von meinem Vater abgelehnt,

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