Unterwegs im Namen des Herrn
Ich habe schon eine Weile keine Herzrhythmusstörungen mehr, aber das Fieber steigt wieder, das fühle ich.
Irgendwie schaffen wir es, auf die Autobahn zu gelangen, ohne unser Leben an der Kühlerhaube eines Pilgerbusses zu lassen. Als am Horizont die erste Tankstelle auftaucht, kommt Leben in Ingo.
»Da! Da!«, brüllt er. »Da ist eine Raststation! Pause!«
Ich kenne diese Eruptionen schon, aber mein Vater zuckt von dem Gebrüll so zusammen, dass er das Steuer kurz verreißt. Er wirft einen Blick in den Rückspiegel, sagt jedoch nichts. Ich sage auch nichts. Ich stecke den iPod weg und lese noch einmal Pater Slavkos Gebet an die Königin des Friedens, dann schiebe ich es meinem Vater in die Hosentasche.
»Was ist das?«, kreischt mein Vater. »Was war das? War das Scheiße?«
»Wie kommst du denn darauf, dass das … wie soll denn das gehen?«
»War das Klopapier? Was hast du gemacht?« Mein Vaterwindet sich auf seinem Sitz, der Wagen gerät ins Schlingern.
»Hört ihr zwei Irren jetzt endlich auf mit dem Blödsinn?«, schreit Ingo.
»Was hast du gemacht?«, jault mein Vater. »Was war da drauf?«
»Beruhig dich, das ist eine Broschüre … das ist ganz harmlos … was ist denn mit dir los?«
»Ich will nicht in dieser Fleischkutsche krepieren, lasst das endlich!«, schreit Ingo. »Einer verrückter als der andere!«
»Wieso denn Fleischkutsche?«, frage ich nach hinten.
»Ist da sicher kein Schmutz drauf?«, fragt mein Vater, setzt sich aber wieder ruhig hin und schaltet den Blinker ein. »Ich kenne dich … dich und deine Scherze! Ist das Papier sauber?«
»Jetzt schlägts aber … ich schiebe doch niemandem Scheiße in die Hose!«
Ingo stöhnt auf. Ich schüttle nur den Kopf. Wir halten vor der Raststation, und während mein Vater mit spitzen Fingern in seine Hosentasche greift, springen Ingo und ich aus dem Auto und rennen auf dem Weg in die Bar einen kleinen Mann mit Dinamo-Zagreb-Kappe über den Haufen.
Wir warten auf unseren Espresso, fünf Minuten, zehn Minuten, der Barmann hetzt von einem Gast zum nächsten, er hat einen ganzen Bus voller Fußballfans zu versorgen. Mein Telefon läutet. Ungläubig starre ich auf das Display. Es ist die Nummer des Tennislehrers. Ich drücke den Anruf weg.
Der Kaffee kommt, mein Vater kommt nicht. Ich gehe ihn suchen. Er hat sich im Auto eingesperrt, weil er sichvor der Busladung von Fußballfans fürchtet, und ist auch nicht durch meine Beteuerung, dass es sich dabei zwar um die üblichen Idioten, aber friedliches Volk handelt, aus dem Wagen zu locken.
Ich bringe meinem Vater einen Espresso und ein Stück Kuchen ins Auto. Zurück an der Bar will ich von Ingo wissen, was mit ihm los ist, was die Verrenkungen im Auto zu bedeuten haben, er hat doch sonst nicht so einen schwachen Magen.
»Wie lange sind deine Verwandten schon in Bosnien unterwegs?«, fragt er.
»Sechs Wochen. Vor sechs Wochen sind sie in Hamburg wegge-.«
»Und ich nehme an, in guter, Tradition haben sie von zu Hause ordentlich was zum Essen mitgenommen.«
»Ja, aber wieso –«
»Im Kofferraum liegt ziemlich viel Essen, und es liegt dort seit sechs Wochen! Die Hitze und die Luft pressen den Geruch durch die Sitze nach vorne, und ich befinde mich in einer Wolke aus altem Fleisch und Käse! Es ist so grauenhaft, du kannst dir das gar nicht vorstellen!«
»Aber wieso machst du nicht einfach das Fenster auf und –«
»Ich kann nicht einfach das Fenster aufmachen und meinen Schädel rausstrecken!«, schreit er so laut, dass der Barmann und einige Fußballfans auf uns aufmerksam werden. »Der Fahrtwind fetzt mir meine Kontaktlinsen aus den Augen! Ich kann nur so schief meine Nase …« Er führt mir die Kopfhaltung vor, die ich vorhin am Fenster beobachtet habe. »So kriege ich ein bisschen Luft von draußen …« Er reibt sich mit schmerzverzerrter Miene den Nacken.
Die Fußballfans ziehen weiter in den Ramschshop. Unsere nächste Runde Kaffee kommt schneller. Insgesamt drei trinkt jeder, dann zahle ich und fasse Ingo, der schon gehen will, am Ärmel.
»Willst du vorne sitzen? Wir können ja tauschen.«
»Dir wird dreimal so leicht schlecht wie mir. Du kotzt ganz sicher. Ich schaff das schon da hinten.«
»Mir ist das aber unangenehm.«
»Kein Problem. Außerdem seht ihr zwei euch selten. Ich hab den Eindruck, ihr versteht euch ganz gut.«
Ich drücke kurz seine Schulter, dann sage ich, er solle mir nachlaufen und eine ängstliche Miene aufsetzen. Wir stürmen zum Auto, ich
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