Unterwegs im Namen des Herrn
Vater vor.
»So dringend ist es auch wieder nicht«, sagt Ingo.
Wir kommen zur Grenze, und ich erinnere mich daran, wie mein Vater, als ich klein war, jugoslawische Zöllner mit Unterwäschekatalogen bestochen hat, die in ihrer vollendeten Harmlosigkeit für die Grenzwächter das waren, was heute für jeden Dreizehnjährigen YouPorn ist.
Kurz vor dem Grenzbalken will ich ihm noch schnell einen Mentholkaugummi einschieben, doch er glaubt aus irgendeinem Grund, ich wolle ihn vergiften, und wirft den Kaugummi in hohem Bogen aus dem Fenster. Der Tumult,der darauf folgt, macht die Zöllner natürlich erst recht auf unser Auto aufmerksam, und ein griesgrämiger Schnauzbartträger fordert mit ungeduldigen Handbewegungen unsere Pässe. Als er sieht, dass wir alle aus der EU kommen, ist ihm sofort wieder alles einerlei, und er winkt uns durch. Neben dem Grenzerhäuschen liegt ein toter Fuchs. Fliegenschwärme umkreisen ihn.
Die Zöllner auf der kroatischen Seite sind noch weniger diensteifrig. Einer bohrt in der Nase, der andere liest etwas, vielleicht einen Modekatalog. Im Schritttempo fahren wir durch, jederzeit bereit anzuhalten, sollte einer der Wächter zur Maschinenpistole greifen, aber es ist wohl viel zu heiß für eine Amtshandlung. Trotzdem atme ich erst einige Kilometer später auf.
Ich kann Kontrollen nicht ausstehen, mein Puls steigt, wenn ich eine Grenzstation nur aus kilometerweiter Entfernung sehe, ich lebe in ständiger Furcht, aus dem Auto gefischt und ins Kittchen geworfen zu werden. Mit der Polizei geht es mir nicht anders. Dazu brauche ich nichts ausgefressen zu haben, der bloße Anblick einer Uniform verursacht bei mir Unbehagen.
Die Qualität der Straßen wird noch eine ganze Weile nicht besser werden, das wissen wir bereits von der Herfahrt. Ingo hängt mit verzweifelter Miene und einem immer grüneren Gesicht am Fenster, die Augen seltsam zusammengekniffen, und ich frage mich, was für ein Martyrium er durchlebt. Direkten Fragen weicht er aus, es zuckt nur unter seinem Auge. Mir tut das Umdrehen ohnehin nicht gut, ich nehme einen Travelgum und versuche geradeaus zu schauen, wo uns gerade ein Pilgerbus auf seinem Weg zur Gnadenstätte in den Graben zu fahren versucht,das Phantombild der Gospa mahnend und mächtig auf der Windschutzscheibe.
»Du, jemand hat mir erzählt, du gehst in den Moslemklub«, sage ich zu meinem Vater.
»Was tue ich? Was für ein Moslemklub?«
»Ja, das weiß ich doch nicht. Angeblich triffst du dich mit Moslems und nimmst an irgendwelchen kulturellen Runden teil oder so, keine Ahnung.«
»Wer hat dir denn diesen Blödsinn erzählt?«
»Das spielt keine Rolle. Stimmts oder stimmts nicht?«
»Ich bin in gar keinem Klub! Weder Moslemklub noch Gospaklub noch sonst wo!«
Ich glaube ihm sogar, mein Vater passt nicht in Klubs, und gläubig war der auch nie, aber man kann nie wissen, im Alter werden die Leute wunderlich, und so wie der fährt, denkt er vielleicht, er hätte eine höhere Macht auf seiner Seite. Mich hat einst auf der Strecke Gleisdorf-Graz, die über die hügelige Ries führt, als ich nicht gerade langsam unterwegs war, genau in der gefährlichsten Kurve eine Nonne überholt. Glauben will einem das hinterher keiner, aber ich schwöre, es war so, ich dachte, ich traue meinen Augen nicht.
»Pass doch auf!«, sage ich und greife meinem Vater ins Lenkrad, als er beim Reden mit beiden Armen gestikuliert, während gerade wieder ein Gospa-Fanbus nach einer Kurve vor uns auftaucht. »Soll nicht lieber ich fahren?«
»Ich könnte auch …«, kommt schwach vom Rücksitz.
»Was wollt ihr denn? Es ist alles gut! Da vorn ist die Autobahn, da halten wir an der Raststation und …«
»… du trinkst einen Kaffee.«
Ich wundere mich selbst, dass ich so ruhig bleibe. Ingoist hinter mir kurz davor, aus dem Auto zu springen, das ist nicht zu übersehen. Er trampelt mit den Füßen auf und ab und wetzt auf seinem Sitz hin und her. Von seiner Stirn rinnen Ströme von Schweiß, obwohl ihm der Fahrtwind durch den kleinen offenen Fensterspalt ins Gesicht bläst. Er sieht aus, als hätte er Knollenblätterpilze im Magen. Der Anblick ist so beunruhigend und buchstäblich magenumdrehend, dass ich mich mitleidig abwende und an meinen Vater ein vorwurfsvolles Kopfschütteln richte. Ingo glaubt, es gelte ihm, und ich handle mir einen Hieb in den Rücken ein.
Ich versuche nicht einmal, das Missverständnis aufzuklären. Ich stöpsle mir meine Kopfhörer ein und drehe Musik auf.
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