Unterwegs im Namen des Herrn
weil er Angst hat, Ohrenschmerzen zu bekommen. Wir einigen uns auf einen Kompromiss. Kurz wird sie eingeschaltet, dann drehe ich sie ab und werde deswegen von Ingo im Fond wild beschimpft. Ich schreibe meiner Frau eine SMS , dass wir auf dem Weg nach Split sind.
Außer uns ist kaum jemand auf der Landstraße unterwegs. Zwischendurch wird die Strecke so kurvig, dass langsam gefahren werden muss, und ich höre durch das Fenster, das ich trotz der hysterischen Ausbrüche meines Vaters geöffnet habe, Grillen in der Hitze zirpen. In einer dieser Kurven rauscht uns ein Lastwagen entgegen und drängt uns beinahe in den Straßengraben, und mir fällt ein, dassMedjugorje hinter mir liegt und ich nicht dort gestorben bin. Was nicht bedeutet, dass ich ab jetzt mehr Lust darauf hätte.
»Alles okay mit dir?«, frage ich meinen Vater.
»Was soll nicht okay sein?«
»Du willst doch, dass ich nichts verschütte!«
»Du kannst gar nichts verschütten, die Dose ist schon leer, du trinkst wie … wie wir sagen hier, wie eine durstige Ziege!«
»Ich werde dir deine durstige … Ganz egal, du fährst ziemlich … na, fahrig. Stell das bitte ein!«
»Weil du das Fenster offen hast! Es zieht!«
Ich lasse das Fenster hochsummen. »So, machs jetzt besser!«
Er grinst. Ich merke schon an der Art, wie er grinst, dass er besoffen ist. Das ist bei ihm immer so, es schlägt erst nach einer Weile ein, Dita hat recht gehabt. Ich denke jedoch nicht daran, mit ihm darüber zu diskutieren oder gar die Plätze zu tauschen, im Gegenteil, ich schließe die brennenden Augen und versuche zu schlafen, er wird mich schon nicht umbringen.
»Was macht dieser Ivica eigentlich beruflich?«, fragt Ingo von hinten.
»Weiß nicht«, grinst mein Vater.
»Was heißt, Sie wissen es nicht, ich dachte, er ist Ihr Freund?«
»Ja. Ja, klar.«
»Und dann wissen Sie nicht, wovon er lebt?«
»Nun … er macht dies und das. Er handelt, glaube ich. Ich weiß nicht genau. Früher hatte er drei Tankstellen.«
Ich stecke mir Kopfhörer in die Ohren und drehe Musikauf. Zehn Minuten lang genieße ich Frieden, abgesehen von meiner wachsenden Panik, wirklich und wahrhaftig einem Hitzschlag zu erliegen. Dann kommt mein Vater wieder in einer Kurve fast von der Straße ab. Ich schiebe die Kopfhörer zurück in die Tasche und rede ihm anständig ins Gewissen.
»Wollen wir … wollen wir irgendwo anhalten und etwas trinken?«, fragt er.
»Gern«, sage ich und knacke mir eine Dose auf, »aber du kriegst Kaffee.«
»Kaffee … das sehen wir dann. Gib doch acht, du verschüttest ja alles! Gib mir wenigstens auch was!«
Ich schlürfe den Schaum von der Dose und werfe einen Kontrollblick nach hinten. Mir fällt auf, dass Ingo ziemlich verrenkt am Fenster hängt, welches er einen Spalt weit geöffnet hat, und dass seine Gesichtsfarbe ins Grünliche schimmert. Bei der Strecke und der Fahrweise wundert mich das nicht. Kurven, Kurven, und dazu diese unfassbare Hitze.
Mein Herz rumpelt so heftig, dass mir die Luft wegbleibt. Mein Fieber ist wieder gestiegen. Ich schalte die Klimaanlage ein.
»Ah!«, höhnt mein Vater.
»Ach, lass mich doch in Ruhe«, sage ich.
An uns ziehen Felder vorbei, verlassen wirkende Dörfer. Kargheit allerorts, nur dann und wann ein streunender Hund. Das ist genau die Art von Landschaft, die ich faszinierend finde, obwohl sie mich auch schwermütig macht. Hier ist alles so allumfassend, so absolut, es gibt keine Ausreden, für nichts.
Je weiter ich mich von Medjugorje und den Menschenentferne, die ich dort gesehen habe, desto stärker drängt sich mir eine Erinnerung auf, und zwar an die vielleicht problematischste Liebesbeziehung, die ich je hatte. Ich weiß selbst nicht, was Laura mit dem allen hier zu tun hat, aber plötzlich sehe ich sie vor mir, so wie ich die tiefen Narben an meinen Unterarmen vor mir sehe, die von ihrem Rasiermesser stammen, und ich erinnere mich an ihre Art zu sprechen, an ihre krausen Ansichten zu Religion und zu Wiedergeburt, und so wie ich an sie denken muss, muss ich an die einzige Gewissheit denken, die ich damals aus dieser Beziehung gezogen habe: Manchmal will man auch sein Leid nicht loslassen aus Angst, dass man dann überhaupt nichts mehr hat.
»Gibt es bald eine Pause?«, fragt Ingo.
»Ich hoffe das sehr«, sage ich.
»Auf der Autobahn können wir anhalten«, sagt mein Vater, »an der Raststation.«
»Und erreichen wir die bald?«, fragt Ingo.
»Ich kann auch schneller fahren!«, schlägt mein
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