Unterwegs im Namen des Herrn
Gepäck, verabschiedet sich und ist weg. Ich winke ihm und stelle fest, dass ich von Ivica keine Nummer habe, keine Personenbeschreibung, keine Treffzeit, keine Adresse, keinen Nachnamen.
Was solls, denke ich, zum Glück gibt es Hotels, und wenn der Kerl nicht in einer halben Stunde hier ist, nehmen wir uns ein Zimmer im Hilton.
Ingo steht blass da, raucht und taumelt, ihn will ich mit diesen Details gar nicht belasten. Ich wuchte mir auch seine Tasche auf die Schulter und dirigiere ihn zur Kneipe. Sichtlich willenlos folgt er allem, was ich sage. Ich frage mich, was das für Fleisch im Kofferraum war.
Vor dem Lokal setze ich Ingo auf einen Stuhl, schiebe dezent die Feigen darunter, baue unser Gepäck rund um den Tisch auf und gehe bestellen. Die Kellnerin ist nach drei Minuten mit allem da, Magenbitter und Bier. Ingo schüttet beide Magenbitter wortlos in sich hinein, und ich winke zwei weitere herbei.
Ich lehne mich zurück. Eine leichte Brise weht um meinen unrasierten Kopf, es riecht nach Salz und Meer. EineMöwe fliegt über uns hinweg und verschwindet in einer eleganten Kurve hinter einem Zaun, an dem Dutzende Plakate Rockkonzerte ankündigen. Mein Blick schweift umher, ich nehme auf, was es aufzunehmen gibt. So fühle ich mich wohl. Ich will nicht lehren, ich will nicht lernen, ich will bloß da sein und schauen, jeden einzelnen Tag.
Ab und zu begegnet mein Blick dem einer jungen Frau. Ich merke plötzlich, dass ich genau das in Medjugorje kein einziges Mal erlebt habe: diese kurzen anonymen Blicke, aus denen Interesse spricht, das fast nie Tat wird, in dem aber unser ganzes Leben steckt.
Am Nebentisch unterhalten sich einige österreichische Rucksacktouristen. Darauf hätte ich allerdings verzichten können. Sie reden so laut, dass man sie nicht überhören kann.
»Hast gesehen, der Karl Koks spüüt heit!«
»Wos? Echt? Woher waast des?«
»Hängen jo überall de Plakate!«
»Super! Wo?«
»Eh do! Am Hofen! Um ööfe! Wern super Hasen da sein!«
Einige Minuten halten wir das aus, dann wechseln wir den Tisch, ohne darüber ein Wort zu verlieren. Ich übernehme es, das Gepäck umzulagern. Auf meinen dringenden Wink hin kommt der nächste Gin Tonic, mit dem ich das zweite Antibiotikum hinunterschwemme. Mir ist Herr Ivica so egal wie nur irgendwas. Ich tue, was ich schon längst hätte tun sollen, ich rufe Tomy an. Doch der hebt nicht ab.
»Wann kommt dieser Ivica?«, fragt Ingo.
»Ist schon da«, sagt hinter uns jemand mit einem starken Akzent.
Wir drehen uns um. Vor uns steht ein unglaublich fetter kleiner Mann jenseits der sechzig. Stirnglatze, Brille, braune Augen, Narben im Gesicht. Er streckt uns eine riesige Hand entgegen, auf deren Rücken im eindeutigen Gefängnisblau eine nackte Frau tätowiert ist. Wie in Trance stehe ich auf, um ihn zu begrüßen, er drückt mich jedoch mit eiserner Kraft wieder auf den Stuhl zurück.
»Bleiben! Sitzen wir, sitzen ist besser! Bin ich Ivica! Schlafft ihr bei mir und machen wir Party! Kommen Freunde und haben wir viel Spaß!«
Er fasst eine unsichtbare Frau um die Taille und deutet mit kreisenden Bewegungen an, woran er denkt. Etwas hilflos lache ich und schaue zu Ingo. Ivica bestellt Schnaps für alle, legt die Hand auf meinen Oberschenkel und sagt:
»Freue ich mich sehr, sehe ich Sohn von meine beste Freund! Weißt du, waren wir zusamme Militär. Das ist – wie sagt man – Verbinden!« Er greift sich ans Herz. »Franjo Sohn – mein Sohn! Siehst du aus wie er. Habe sofort gesehen. Können bald fahren. Ist bald Verkehr hier. Autos! Ist wegen Musik! Wo wart ihr?«
»In Medjugorje. Wir waren auf einer Wallfahrt. Genau genommen, sind wir es noch.«
»Medjugorje! Jungfrau!« Er wird ernst. »Du glaubst?«
»Nein, wir wollten uns das nur ansehen …«
»Die Gospa!« Er bekreuzigt sich, legt wieder die Hand auf mein Knie und senkt die Stimme. »Hat sie mir geholfen in Not! Hilft sie uns allen!« Er küsst den riesigen Edelstein an einem seiner Ringe, zeigt Richtung Himmel und bekreuzigt sich wieder.
Ich nicke eifrig. Mein Telefon läutet, und in der Hoffnung, es sei Tomy, greife ich so hektisch danach, dass ichden Salzstreuer umwerfe, es ist jedoch nur der Tennislehrer. Ich lasse es läuten, es wird ohnehin von Ivica überbrüllt.
»Musst du jetzt Salz nehmen und über Schulter – so – über Schulter jetzt! Machen! Jetzt! Nehmst du Salz und so! Gleich machen!«
Er wird derart energisch, dass ich es für das Vernünftigste halte, ihm den Wunsch
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