Unterwegs im Namen des Herrn
gestikuliere und brülle. Meinen Vater packt sofort sichtliches Entsetzen. Ich springe in den Wagen und schreie:
»Schnell! Schnell! Die sind uns auf den Fersen! Die wollen uns verprügeln!«
Meinem Vater fällt der halbvolle Becher Espresso auf die Jeans, er startet den Wagen und spuckt bei der Frage, was los sei, Kuchenstücke auf das Lenkrad. Er legt einen Kavaliersstart hin und schreit uns weitere Fragen zu, die wir nicht beantworten. Wir sind schon auf der Autobahn, als er an unseren schadenfrohen Gesichtern erkennt, was los ist. Er selbst lacht am lautesten.
Der Rest der Fahrt nach Split verläuft weniger chaotisch als der erste Teil. Entweder hat der Kaffee meinem Vater gutgetan, oder er reißt sich ein wenig zusammen. Nur Ingo sitzt verkrümmt an seinem Fensterspalt und gibt ein jammervolles Bild ab. Als er nicht damit rechnet, mache ich ein Foto von ihm. Er merkt es, doch für eine Reaktion ist ervon den ihn einhüllenden Dämpfen offensichtlich zu geschwächt.
Ich schnuppere vorsichtig nach hinten. Von Fleisch- und Käseschwaden bemerke ich nichts, aber das will nicht viel heißen. Überdies kann ich ihn gut verstehen, ich finde sowieso, dass es in jedem Auto widerlich riecht, und ohne Travelgum würde ich oft das Ziel meiner Reise gar nicht oder nur stark verspätet erreichen. Ich frage mich, ob das notwendig ist, warum Autobauer nicht in der Lage sind, ihre Fahrzeuge ein wenig besser zu parfümieren. Es ist doch seltsam, dass Kinder beim Autofahren mehr kotzen als beim Fliegen.
Ich sinne diesem Gedanken nach, kurz darauf leuchtet er mir nicht mehr ganz ein, aber meine Aufmerksamkeit wird nun von der Abfahrt nach Split beansprucht. Ich frage meinen Vater, wo sein Freund wohnt, bekomme jedoch keine Antwort, denn er hat sich wieder in die Nervosität zurückgezogen. Mir wird mit einem Schlag bewusst, dass er sich in Split nicht auskennt und die nächsten Minuten sicher kein Vergnügen sein werden. Speziell für Ingo.
Wir fahren nach rechts, wir fahren nach links, wir fahren schnell, wir fahren langsam, und bald sind wir wieder dort, wo wir zehn Minuten zuvor waren. Eine halbe Stunde mache ich das schweigend mit, dann nehme ich eine Mexalen gegen das Fieber und sage zwischen zwei Schlucken aus der Bierdose:
»Würdest du mir verraten, wo genau wir hinwollen? Vielleicht kann ich helfen.«
Nach zweimaligem Nachfragen knirscht er zwischen den Zähnen hervor: »Zum Hafen.«
»Wir wollen zum Hafen? Und du kannst ihn nicht finden?«
»Ich kann ihn schon finden! Wenn da nicht dauernd diese Einbahnstraßen wären! Ich war das letzte Mal vor zehn Jahren hier, es ist alles neu und alles idiotisch gemacht, völlig unübersichtlich, merkst du doch!«
»Was, wenn du einfach dem Car-Ferry-Schild nachfährst, das an allen Ecken hängt? Das gibt es doch gar nicht, da hat der …«
»Car Ferry! Wo steht das denn? Ich sehe das nicht!«
»Dort! Überall! Du brauchst eine Brille!«
»Ach, dort! Na so weit oben sieht das ja keiner!«
Ich lasse mich auf keine Diskussion ein, ich weise ihn auf die Tafeln hin, und keine zehn Minuten später sind wir am Hafen. Ingo hat jegliches Interesse an seiner Umgebung verloren. Mit geschlossenen Augen lehnt er den Kopf gegen die Kopfstütze seines Sitzes. Mich beunruhigt, dass es unter seinem Auge nicht einmal mehr zuckt.
»Wo genau jetzt?«
»Er sagt, in der Kneipe nebenan …«
»Wo nebenan?«
»Bei der Fähre. Daneben …«
»In der Kneipe neben der Fähre? Das ist doch mal ein Anhaltspunkt! Da drüben kannst du parken!«
»Nein, ich halte nur kurz und lasse euch raus, ich fahre gleich weiter.«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage! Erstens kennen wir den gar nicht, das ist dein Kumpel, den stellst du uns vor! Und zweitens solltest du auch hierbleiben. Es ist ziemlich weit nach Mostar.«
»Nein, ich fahre gleich, das schaffe ich schon. Und Ivicafindet ihr leicht. Oder er euch. Setzt euch einfach in die Kneipe.« Er hält an einem Taxistand, die Taxis hinter uns hupen. »Kommt schnell, wir müssen uns beeilen.«
»Das ist nicht dein Ernst?«, sage ich, doch er hört mich nicht mehr, er ist aus dem Wagen gesprungen.
Niemand hört mich, Ingo ist mit einer überraschenden Geschwindigkeit auch nach draußen geklettert und steht kotzend neben einer Laterne. Ich sammle meine Sachen zusammen und steige schimpfend aus. Mein Vater ist wieder völlig unzugänglich, er hilft mir mit den Koffern, er stellt zwei Tüten mit je sechs Kilogramm Feigen neben unser
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