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Unterwegs in der Weltgeschichte

Unterwegs in der Weltgeschichte

Titel: Unterwegs in der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Christian Huf
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sich den Künstlern dann noch einmal ein ganz neues, viel grazileres Arbeitsmaterial, das wiederum eine Verfeinerung und Verschnörkelung des bereits Feinen und Verschnörkelten erlaubt: Die Zeit des Rokoko (etwa 1720–1780) kündigt mit seiner Miniaturisierung der barocken Formen- und Farbenexplosion dann schon das Ende dieser Epoche an, die den letzten Kunststil ausprägt, dem ganz Europa einheitlich huldigt, so wie in der Schlacht vor Wien ein letztes Mal gemeinsam gekämpft wird.
    Der Sieg über die Türken ist es hauptsächlich, der wie in einem großen Finale den Gemeinschaftssinn für Größe und Macht des Abendlandes noch einmal kräftig anstachelt. Der kulturelle Schub, der von hier ausgeht, ist wie eine Rückversicherung für wiedergewonnene Stärke und für glanzvolles Selbstbewusstsein, vor allem in der Stadt des römisch-deutschen Kaisers, in Wien. Die Wiener Karlskirche, zwischen 1716 und 1737 erbaut vom genialen Baumeister Johann Bernhard Fischer von Erlach und seinem Sohn, hat nur dieses eine Ziel: wiedergefundene Größe zu demonstrieren. Die gigantische Komposit-Architektur vereint wie in einer Leistungsschau alle baulichen Highlights der Geschichte: die riesige Kuppel, die dem Petersdom in Rom nachempfunden ist; die säulenartigen Glockentürme, die an römische Siegessäulen erinnern sollen und als »Säulen des Herkules« auf die Grenzen der Welt hinweisen und den Machtanspruch der Habsburger markieren; die vorgesetzte begiebelte Säulenhalle, die an die Würde griechischer Tempel gemahnt; die monolithischen Torbauten rechts und links, die wie antike Triumphbogen in den Himmel ragen.
    Solch entfesselte Lust auf Repräsentation und selbstbewusste Prachtentfaltung ist das Erbe aus dem Sieg über die Türken, das überallhin ausstrahlt. Ein kleiner Rest dieser barocken Großmannsucht ist übrigens noch in unserer heutigen Schrift aufzufinden: in der Großschreibung unserer Hauptwörter und Anreden.
    Friedrichs Schloss Sanssouci ist vielleicht der letzte großartige Gruß dieser Epoche, den der Wanderer durch die Geschichte auch heute noch ganz hautnah empfangen kann. Am Rokoko-Stil weigerte sich Friedrich zeitlebens bauliche Änderungen vorzunehmen, auch als gegen Ende seines Lebens 1786 längst der nüchterne Zeitgeschmack des Klassizismus vorherrschte und edle antike Klarheit allerorts die ausufernde Formen- und Farbenvielfalt verdrängte. Nur äußerst widerwillig erlaubte Friedrich selbst notwendigste Reparaturen an seinem »Weinberghäuschen«, wie er seine Sommerresidenz liebevoll nannte. Seinen Staat hatte er möbliert, während sein »Ohne-Sorge-Schloss« verfiel. Ganz vorsätzlich, denn es sollte mit ihm untergehen. So wie er es selbst wortwörtlich bestimmte: »Es soll nur bei meinem Leben dauern!« Zum Glück hat der Alte Fritz da mal nicht recht behalten.



30. Sternschnuppen und Geistesblitze
    H aben Sie schon mal in der Nähe des Nordpols die Mittsommernacht erlebt? Oder das Wetterleuchten in Spitzbergen? Oder den Regen von Sternschnuppen in einer mondlosen Augustnacht in der Wüste? Nein? Macht nichts. Es geht auch zu Hause.
    Die Rede ist von einem Gefühl, das bestimmt schon die ersten Menschen kannten: Unter der Himmelskuppel in einer sternklaren Nacht oder auch ganz woanders kann nämlich etwas Wunderbares passieren. Plötzlich werden wir uns bewusst, wie winzig und unbedeutend wir sind, und spüren doch das großartige Zusammenspiel allen Lebens mit dem Weltganzen. Für Augenblicke scheint alles zusammenzugehen: wir, die Natur, das All, Gott.
    Für den Theologen Friedrich Schleiermacher war Anfang des 19. Jahrhunderts dieses Gefühl der Ursprung einer jeden Religion. Ein solches existenzielles Erlebnis würde in den Herzen der Menschen »ein Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit« auslösen, so war Schleiermacher überzeugt. Diese hochindividuelle, sensitive Erfahrung der gottgewollten Ordnung, in der alle Dinge ihren richtigen Platz haben, sei der Schlüssel zu wahrem Glauben.
    Der Zauber einer sternklaren Nacht war im ausgehenden 18. Jahrhundert aber nicht nur etwas für romantische Theologen. Auch für den scharfsichtigen preußischen Aufklärer Immanuel Kant (1724–1804) war der Sternenhimmel ursprünglicher Antrieb all seiner Überlegungen. Auf die Frage, was ihn denn eigentlich zum Nachdenken über

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