Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
die Ausländern die Chauffeure stellte, gegen meinen Fahrer entschieden. Das hieß, dass ich die Kosten übernehmen und Herr Wang durch einen anderen Fahrer abgelöst werden sollte. Das wollte er nicht hinnehmen. Jeden Morgen setzte er sich in meinen Dienstwagen und schickte den Ersatzchauffeur wieder weg. Nach drei Wochen warnte mich mein Dolmetscher: Wenn der Fahrer sich weigere, einen anderen Posten anzunehmen, werde das langsam gefährlich für mich. Auch meine Sprachlehrerin empfahl mir, ich solle Herrn Wang sagen, dass ich den Streit beenden und die Schadensrechnung begleichen würde. Der Fall, so sagte sie, habe inzwischen Diskussionen ausgelöst, die uns beiden Schwierigkeiten machen könnten. Also beklagte ich mich nicht mehr, und Herr Wang war eines Tages verschwunden, ohne sich verabschiedet zu haben. Später erfuhr ich von meinem Dolmetscher, er sei aus Protest nach Hause auf seine Fischerinsel im Chinesischen Meer zurückgekehrt. Einen Monat später aber hielt ein Auto auf der Hauptstraße mit quietschenden Bremsen vor mir: Aus dem Wagen stieg Herr Wang, der mich hocherfreut und respektvoll begrüßte, wie er es auch später bei jedem Zusammentreffen tun würde. Er hatte gegen alle Erwartungen der Kollegen seinen Job als Ausländerchauffeur wiederbekommen, aber mit der Auflage, dass er bei mir nicht wieder arbeiten dürfe. Nun war er Fahrer eines afrikanischen Botschafters. »Zur Strafe«, kommentierte Herr Liang, ohne zu erklären, warum ihm die Versetzung vom Steuer eines weißen Journalisten in den Wagen eines schwarzen Diplomaten als Strafe erschien.
Zwischen den Mitarbeitern in meinem Büro gab es offiziell keine Rang- oder Klassenunterschiede. In Situationen wie der beim Chauffeurwechsel konnte ich gleichwohl erkennen, wie verschieden sie waren. Genau erklären konnte ich es mir nicht, denn es gehörte zu ihrem Selbstschutz, sich nicht zu sichtbar von den anderen zu unterscheiden, und ich konnte nicht nachfragen, ohne sie zu gefährden. Mir fiel auf, dass Herr Liang von anderen Chinesen nicht als mein Dolmetscher, sondern als Sekretär unseres Korrespondentenbüros bezeichnet wurde. Viele Jahre später hörte ich, dass er tatsächlich kein einfacher Dolmetscher war, sondern vor seiner Zeit bei mir eine Abteilung im Außenministerium geleitet hatte, die Diplomaten auf die Botschaftsarbeit in englischsprachigen Staaten vorbereitete. Man hatte ihn dann jedoch aus Gründen, die ich nie erfuhr, wie viele andere zur Umerziehung in ein ärmliches Dorf in Nordwestchina geschickt. Als er nach Peking zurückkehrte, suchten Kollegen für ihn einen Arbeitsplatz, der nicht so exponiert sein durfte wie der eines Abteilungsleiters im Ministerium, bei dem aber seine Intelligenz und seine Kenntnisse gewürdigt würden. So kam er zu mir und erwies sich auf seine zurückhaltende, vorsichtige Art als ein ausgesprochen erfahrener Helfer. Nach etwa anderthalb Jahren allerdings wurden die maoistischen Kulturrevolutionäre wieder stärker, sie entfernten Herrn Liang aus meinem Büro und schickten ihn ein zweites Mal zur Umerziehung aufs Land. Als ich ihn dann Jahre später in Peking auf der Straße wiedertraf, ging er mit zwei älteren Jungen spazieren, und ich sagte ihm, ich hätte ihn mit den Kindern vor Jahren schon einmal auf der Straße gesehen. Ich hätte ihnen zugewinkt, aber zurückgewinkt habe er nicht. Ja, sagte er, damals habe man keinen Ausländer begrüßen und schon gar nicht sagen dürfen, dass man Kinder habe. Jedes private Gespräch hätte ein Grund sein können, ihn zur Landarbeit zurückzuschicken.
Der Nachfolger von Herrn Liang war wieder ein Mann, der eigentlich im chinesischen Außenministerium einen besseren Platz auf der Aufstiegsleiter hatte. Natürlich hielt er nach den Erfahrungen seines Vorgängers noch mehr Abstand zu mir, aber er sprach ein gutes Deutsch, war ein geschickter Organisator und eine große Hilfe für mich. Jahre später traf ich ihn in Deutschland wieder, wo er den Umzug der chinesischen Botschaft von Bonn nach Berlin organisierte.
Bei meiner Chinesischlehrerin Frau Shu spürte ich von Anfang an, dass sie etwas Besonderes war. Ihre Kollegen behandelten sie mit bemerkenswertem Respekt, wenn sie sich bei ihr Ratschläge für alle Lebenslagen holten. Wenn ich mich mit ihr unterhielt, lachte sie sehr viel, was zwischen Chinesen und Ausländern sonst extrem selten vorkam. Bei mir und ausländischen Kollegen ließ sie manchmal mit freundlicher Ironie erkennen, dass wir von den
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