Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
deutschen Reeder, der zur Delegation gehörte, rief er unüberhörbar zu: »Ruges Möbel sollen nächste Woche auf Ihrem Frachter ankommen. Rufen Sie den Kapitän an, er soll sie gar nicht erst ausladen. Ruge fliegt mit uns zurück. Was soll er hier, wo man ihn nicht einmal anständig unterbringt.« Ich hätte meine Zelte in China trotz aller Unbequemlichkeiten natürlich nicht so schnell abgebrochen, aber wie sich sehr bald zeigte, war das auch gar nicht nötig. Schon am nächsten Vormittag besuchte mich ein älterer Verwaltungsmann aus dem Büro für die Versorgung von Ausländern und erklärte in gepflegtem Englisch, er könne mir eine Wohnung zeigen. Da gab es nun in dem neuen Hochhaus, das eigentlich für die Amerikaner reserviert war, eine angenehme Parterrewohnung: vier Zimmer, eine große Küche, zwei Bäder und ein Büro für mich und den Dolmetscher.
In den nächsten zwei Wochen ging es weiter mit der Ausstattung meiner Korrespondentenexistenz: Das Betreuungskomitee hatte bereits eine Liste mit zukünftigen Mitarbeitern für mich vorbereitet. Diese Mannschaft schien mir zunächst für einen Korrespondenten ungewöhnlich groß, eher passend für die Vertretung eines kleineren Staats oder einer großen Handelsorganisation. Aber alle Korrespondentenbüros waren personell ähnlich üppig ausgestattet. Das erinnerte ein wenig an die vorkommunistischen Jahre, als die Ausländer für wenig Geld viel Personal anstellen konnten. Und in der Tat waren die Personalkosten fast so niedrig wie in der kapitalistischen Zeit – auf »Ausbeuterniveau«, so hätten es die Zeitungen der chinesischen Kommunisten damals genannt. Die Kosten waren so festgesetzt, dass auch kleinere Staaten der Dritten Welt und die ehemaligen kommunistischen Bruderstaaten keinen Grund zur Beschwerde hatten.
Als Erster kam Herr Liang, der Dolmetscher. Er sorgte zunächst dafür, dass ich eine Putzfrau bekam, Frau Li. Dann kamen Herr Yu, von allen »kleiner Yu« genannt, als Koch dazu und der Fahrer, Herr Wang, der sich um meinen Dienstwagen kümmern sollte, sobald dieser mit den Möbeln per Schiff aus Bremerhaven eintreffen würde. Und schließlich war da noch die Chinesischlehrerin, Frau Shu, die mich an jedem Wochentag zwei Stunden lang unterrichtete. Das waren ziemlich viele Leute, die sich täglich in meiner Wohnung aufhielten. Erst war ich darüber etwas besorgt, aber sie alle hatten Erfahrungen mit überbelegten Wohnungen und teilten sich die Arbeitsplätze in Küche und Büro auf, ohne einander zu stören. Natürlich war die Distanz zu mir sehr groß und, wie mir zunächst schien, bei der schüchternen Putzfrau fast unüberwindlich. Aber gerade Frau Li erwies mir, ohne es zu wissen, einen Gefallen. Vierzehn Tage nachdem sie bei mir zu arbeiten angefangen hatte, musste sie bei der Leitung ihrer Organisation einen ersten Bericht über Arbeitsplatz und Arbeitgeber abliefern, und der fiel positiv aus. Ich hatte, ehe meine Möbel ankamen, in einem chinesischen Geschäft einen Küchenstuhl gekauft, der mir als billig und praktisch aufgefallen war. Auf ihm ruhte Frau Li sich gelegentlich aus. Das berichtete sie ihren Vorgesetzten, worauf diese offenbar zu dem Schluss kamen, ich sei kein hochnäsiger ausländischer Ausbeuter, sondern ein Mann, der auch einfache Chinesen mit Respekt behandle und das Proletariat nicht verachte. Diese Einschätzung, von der ich erst Jahre später von meiner Chinesischlehrerin erfuhr, ging in einen der vielen Berichte ein, in denen regelmäßig Äußerungen von Ausländern zusammengefasst wurden.
Herr Wang, der Chauffeur, war um die dreißig Jahre alt, ein Fischersohn aus der Nähe von Tsingtao, ein bisschen naiv, aber offen und freundlich. Er hatte seinen eigenen Kopf, aber was für ein Dickschädel er wirklich war, erfuhr ich erst nach einem Unfall mit unserem Dienstwagen. Auf einer Nebenstraße am Stadtrand war ein Traktor mit unserem Wagen zusammengestoßen. Die Schäden am Traktor waren nicht sehr groß, die Reparaturen an unserem Auto aber würden teuer werden. Die Polizei hatte die Unfallstelle besichtigt und ein Urteil gefällt: Schuld sei der Fahrer mit dem Wagen des Ausländers. Das aber wollte Herr Wang nicht auf sich sitzenlassen. Seiner Ansicht nach habe die Polizei nur deshalb so geurteilt, damit der deutsche Korrespondent zahlt, während bei einer Schuld des Traktorfahrers dessen Volkskommune die Reparaturkosten hätte tragen müssen. Inzwischen hatte jedoch auch der Chef der staatlichen Dienststelle,
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