Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
ihre Verbreitung eingesetzt hätte.
Die Kampagne gegen die Dissidenten führte im Laufe der Jahre zu Verhaftungen und Lagerstrafen, angesehene Wissenschaftler und Schriftsteller wurden ausgewiesen, wie etwa Alexander Solschenizyn im Jahr 1974 , oder in die Verbannung geschickt, wie Andrej Sacharow sechs Jahre später. Es gab immer weniger kritisch denkende Menschen, die sich bei einem Schriftsteller wie Lew Kopelew und seiner Frau treffen konnten – am Ende durften auch diese beiden 1981 nach einer Deutschlandreise nicht mehr in die Sowjetunion zurückkehren. Gelegentlich sah ich einzelne Personen oder kleine Gruppen, die an den Straßenecken nahe den Moskauer Gerichtsgebäuden warteten, um Dissidenten-Freunden vor deren Abtransport ins Straflager noch einmal zuzuwinken. Sie standen scheinbar unbeteiligt da und hofften, ein verurteilter Freund würde sie sehen können, wenn er in einem Polizeiwagen abtransportiert wurde. Für uns ausländische Journalisten war es unmöglich, mit Verhafteten und Verurteilten zu sprechen. Selbst ihre Freunde und Angehörigen konnten wir meistens schon am Tag nach dem Urteil nicht mehr kontaktieren.
So stand ich im Mai 1978 gemeinsam mit amerikanischen Kollegen einen halben Tag lang vor einem Gericht am Rande Moskaus, wo der Menschenrechtler Juri Orlow sein Urteil erwartete. Orlows Frau und seine beiden Söhne waren während des Prozesses im Gerichtssaal gewesen. Nun wollten wir sie mit unseren Autos vom Gericht zu ihrer Wohnung in der Innenstadt bringen, um etwas über den Prozessverlauf zu erfahren. Die Orlows saßen kaum in einem unserer Autos, als drei Pkws mit normalen Moskauer Nummernschildern unsere Wagen zu rammen versuchten. Daraufhin bildeten wir eine kleine Kolonne mit Kevin Close von der Washington Post vorn, Irina Orlowa und ihren Söhnen im mittleren Wagen und mit mir am Schluss. Das machte es unseren Verfolgern schwerer, uns abzudrängen. Nur knapp vermieden wir dabei einen schweren Unfall. Kevin Close fuhr mit Vollgas durch den dichten Innenstadtverkehr, überholte links und rechts und versuchte, die KGB -Fahrer abzuhängen. Neben mir saß der Schriftsteller Wladimir Wojnowitsch, der später zur Emigration nach Deutschland gezwungen wurde, und schrie aufgeregt und begeistert: »Fahr, Cowboy, fahr!«, während Close zwischen Lastwagen und Bussen hindurchraste. Dennoch konnten wir die Verfolger nicht abschütteln, die sich immer näher an uns herantrauten. Da riss Close seinen Wagen plötzlich nach rechts herum und fuhr über den Bürgersteig des Kutusowski Prospekts durch eine schmale Einfahrt zu einem Wohnblock für Ausländer. Der zweite Wagen unserer Kolonne schoss mit quietschenden Reifen hinterher. Ich konnte nicht mehr bremsen und fuhr geradeaus weiter, immer noch verfolgt von den Wagen des KGB . Nach ein paar Hundert Metern drehten sie ab und verschwanden. Eine Viertelstunde später kam ich, immer noch außer Atem, in die Wohnung des Financial Times -Korrespondenten David Satter, in der Irina Orlowa vor einer Reihe von Journalisten bei einer kleinen unerlaubten Pressekonferenz den Verlauf des Prozesstages schilderte. Es habe nur Beschuldigungen und keine Chance für eine ernste Verteidigung gegeben, berichtete sie, dazu Beifallsbekundungen für den Staatsanwalt und Beschimpfungen des Angeklagten durch das ausgewählte Publikum. Ihr Mann habe kein Reuebekenntnis abgelegt und sei schließlich zu langer verschärfter Lagerhaft verurteilt worden. Davon sollte die Welt erfahren, meinte sie, und sie hoffte, die Aufmerksamkeit des Auslands würde zur Ausweisung ihres Mannes aus der Sowjetunion führen.
Mit den Schriftstellern Jewgeni Popow und Viktor Jerofejew, 1993.
Quelle: Mit Jewgeni Popow und Viktor Jerofejew : Daniel Biskup
Zwei Kämpfer für Menschenrechte und freie Rede: Juri Orlow und Lew Kopelew, 1986.
Quelle: Juri Orlow und Lew Kopelew : Ullstein-Bild
Drei junge Dichter – Bella Achmadulina (1965), Andrej Wosnessenski und Jewgeni Jewtuschenko (1966) –, deren Auftritte Tausende von jungen Moskauern anzogen und die sich deshalb gelegentlich die »Beatles von Moskau« nannten.
Quelle: Bella Achmadulina : Ullstein-Bild
Andrej Wosnessenski und Jewgeni Jewtuschenko : AFP / Ria Novosti
Der Schauspieler und Liedermacher Wladimir Wyssozki, 1978.
Quelle: Wladimir Wyssozki : Ullstein-Bild
Der Schriftsteller und Sänger Bulat Okudschawa, 1982.
Quelle: Bulat Okudschawa : AFP / Ria Novosti
Strickjackenpolitik: Helmut Kohl,
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