Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
indem sie als Freiwillige in den Spanischen Bürgerkrieg gezogen waren und sich dann nach Francos Sieg zur BBC nach London gerettet hatten. Außerdem gab es Dozenten, die in Deutschland in einer Art intellektueller innerer Emigration geblieben waren – Axel Eggebrecht zum Beispiel, unabhängig, scharfsinnig und witzig formulierend, war ein Star der wieder entstehenden linksliberalen Szene. Hanns Hartmann, Leiter der Kurse an der Rundfunkschule, war 1933 der jüngste deutsche Theaterintendant gewesen und hatte sich dann wegen seiner jüdischen Frau in unauffällige Büroarbeit zurückgezogen. Nach 1945 hatte ihn die sowjetische Militärverwaltung in Ost-Berlin zum Leiter des Metropoltheaters gemacht. Hartmann hatte sich dem Druck der kommunistischen Zensur jedoch entzogen, woraufhin englische Rundfunkoffiziere auf ihn aufmerksam wurden und ihn nach Hamburg herausschmuggelten. In den erwähnten Diskussionen und Vorträgen wurden die Probleme der nationalsozialistischen Zeit und der Gegenwart in großer Offenheit zur Diskussion gestellt – das ging so weit, dass sogar einige führende Beamte aus dem ehemaligen Goebbels’schen Reichspropagandaministerium eingeladen wurden, damit sie über ihre Arbeit im Dritten Reich berichteten. Etwas Vergleichbares wäre zu dieser Zeit anderswo undenkbar gewesen.
Der Nordwestdeutsche Rundfunk war in Hamburg ansässig, mit zwei oder drei Nebenstellen in anderen Orten der britischen Besatzungszone. Am Ende der Kurse sollten die jungen Teilnehmer eine gute Chance auf einen Job in den Rundfunkredaktionen haben. Ob es für mich, so jung, wie ich war, eine Redakteursstelle geben würde, war einigermaßen fraglich. Nach zähen Kämpfen zwischen Politikern, Landesregierungen und Verbänden fiel die Entscheidung, Rundfunk nicht nur von Hamburg aus zu machen, sondern auch in Nordrhein-Westfalen einen Sender aufzubauen. Das war meine Chance. Als ersten Intendanten für den neuen Sender in Köln hatte die englische Rundfunkverwaltung Hanns Hartmann ausgewählt und mit großer Entschlossenheit gegen alle parteipolitisch gefärbten Vorschläge durchgesetzt. Hartmann wiederum rief mich in sein Büro und schlug mir vor, meine Lehrzeit in Köln zu machen.
Das war Ende 1947 ein verlockendes Angebot, aber keine leichte Entscheidung. Zu Hause hatte ich bei meiner Mutter und meinen Großeltern eine Unterkunft und etwas zu essen, wenngleich das, was es auf Lebensmittelmarken gab, knapp war und ohne Hilfe der Familie kaum ausgereicht hätte. Überhaupt wusste ich nicht, wie das Leben in Köln sein würde. Ich war zuvor noch nie im Rheinland gewesen, und meine Hamburger Großeltern erinnerten sich auch nur an Karneval, Leichtlebigkeit und Katholizismus. Von Köln wusste ich bloß, dass es eine von Bombenangriffen schwer zerstörte Stadt war. Aber das galt für Hamburg schließlich auch. Beim NWDR in Hamburg gab es bereits ungefähr achthundert Mitarbeiter und für einen Neunzehnjährigen daher kaum Bedarf. Im Kölner »Funkhaus«, angesiedelt auf zwei Etagen der ehemaligen Musikhochschule, arbeiteten dagegen zu diesem Zeitpunkt nur dreiunddreißig feste Mitarbeiter. Dass Hanns Hartmann diesen Kleinstsender, den Rest des ehemaligen Reichssenders Köln, in größerem Umfang ausbauen würde, schien mir sicher. Aus der Rundfunkschule wusste ich, dass er ein enormes Durchsetzungsvermögen hatte – also nahm ich sein Angebot an.
Anfang Januar 1948 kam ich also eines Morgens auf dem Kölner Hauptbahnhof an. Die meiste Zeit während der Fahrt hatte ich stehen müssen, alle Züge waren damals überfüllt. Zerstörte Straßen und Bombenkrater kannte ich schon aus Hamburg, aber nun wanderte ich allein und fremd im Zentrum von Köln durch eine Trümmerwüste. Auf kleinen Trampelpfaden musste ich meinen Weg zu der ehemaligen Musikhochschule finden.
Der Pförtner schickte mich zum Büro des britischen Kontrolloffiziers, Edward Rothe. Er war von Hause aus weder Offizier noch Engländer, sondern ein intellektueller Theatermann, der in Österreich Regieassistent von Max Reinhardt gewesen war, ehe ihn die Machtausdehnung des Dritten Reichs als Juden zur Flucht nach England gezwungen hatte. Er zeigte sich einigermaßen misstrauisch gegenüber einem sehr jungen Deutschen, der ja immerhin durch seine Jugend im Nazireich geprägt sein musste. Andererseits machte ihn gerade das auch neugierig. Ähnlich wie Hanns Hartmann, der kurz zuvor sein Intendantenbüro im ersten Stock bezogen hatte, konnte Rothe »Nazis riechen«.
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