Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
gefallen hatte. Nazis oder Rassisten seien ihnen dort nicht begegnet, erzählte einer der beiden.
Dann machte ich mich allein auf den Rückweg zum Studentenheim und lief durch ein lebhaftes schwarzes Vergnügungsviertel. Manchem weißen New Yorker, erfuhr ich später, hätte ein nächtlicher Spaziergang dort Angst bereitet. Für mich hingegen war das alles nur fremd, und als ich nach zehn Minuten allmählich in die fast menschenleeren Straßen des weißen New York kam, fühlte ich mich dort keineswegs sicherer, sondern eher einsam.
Meine deutschen Kollegen und der österreichisch-amerikanische Politologe hielten mich einfach nur für verrückt, als sie von meinem nächtlichen Abenteuer hörten. Nur Clark Foreman, der Assistent des Politologen, war von dem Ausflug fasziniert und setzte sich zu einem längeren Gespräch mit mir zusammen. Er sollte für jeden der deutschen Journalisten eine Besuchs- und Reiseroute organisieren und kümmerte sich von nun an besonders um mich. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass er zwar im Auftrag des State Department arbeitete, politisch aber zum äußersten linken Flügel der Demokratischen Partei gehörte. Er stand nicht für die Politik von Präsident Truman, sondern näher bei dem ehemaligen Vizepräsidenten Henry Wallace. Dessen Progressive Party – Wallace hatte mit ihr 1948 die Präsidentschaftswahl verloren – fand ich in ihrer Einschätzung der Sowjetunion und der Kommunisten zwar ziemlich wirklichkeitsfern und sozialromantisch, aber Foreman kannte Theorie und Praxis der Rassenkonflikte in den USA , die lange nach dem Ende der Sklaverei noch immer die Grundlagen der amerikanischen Innenpolitik mitbestimmten.
So lernte ich, zehn Jahre vor dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung und bevor die Fragen der Gleichberechtigung zu wachsenden Spannungen und Zusammenstößen führten, über Clark Foreman einige der zukünftigen Anführer und Organisatoren, Sänger und Musiker kennen, die später den Protestbewegungen gegen Rassenungleichheit oder gegen den Vietnamkrieg ihr Gesicht und ihre Stimme geben sollten. Stärker noch als in anderen Städten kündigte sich in New York schon zu Beginn der fünfziger Jahre die tiefgreifende Veränderung an, die Amerika ein Jahrzehnt später erschüttern sollte, und ich traf auf kleinen Partys oder in Jazzclubs die Leute, über die ich Kontakt zu den schwarzen und weißen Gegnern der Rassentrennung finden konnte.
In weiten Teilen des Landes, und nicht nur in seinen südlichen Staaten, war die Segregation schlichtweg eine allgemein akzeptierte Tatsache. Einer meiner älteren deutschen Kollegen formulierte das so: »Wenn es der großen Mehrheit der Bürger eines Landes so gut geht wie hier, aber fünfzehn Prozent in schlechten Verhältnissen leben, dann muss man jede Veränderung vermeiden, durch die die Mehrheit in ein schlechteres Leben gezwungen wird.« Darin war er sich mit den allermeisten weißen Amerikanern einig, von denen manche die Gleichberechtigung als Prinzip akzeptierten, die Rassentrennung aber für durchaus gerechtfertigt hielten. Ich hatte solche Gedanken zunächst ebenfalls einleuchtend gefunden – ehe ich über meine neuen Freunde die Realität der Rassendiskriminierung kennenlernte.
Clark Foreman hatte für mich eine Busfahrt in die Südstaaten der USA gebucht. Das Ziel meiner Reise war die Highlander Folk School in Monteagle, Tennessee. Auf halbem Weg dorthin erlebte ich meinen ersten Schock. In der Busstation von Richmond, Virginia, hingen Schilder mit den Worten »White« und »Colored« an den Türen der Toiletten und an den Trinkwasserspendern. Im Bus durften die Schwarzen nur auf den hinteren Plätzen sitzen. Für sie war es nicht nur verboten, sondern geradezu lebensgefährlich, sich einen Platz zwischen den Weißen zu suchen. Von nun an galt das auf allen Busstationen bis zur südlichen Grenze der USA .
Die Highlander Folk School war eine Mischung zwischen Heimschule und Volkshochschule. Ursprünglich, im Jahr 1932 , war sie für die Ausbildung von Mitgliedern der Landarbeitergewerkschaft gegründet worden, und auch noch Anfang der fünfziger Jahre wurde hier Hilfe für die Männer organisiert, die auf den Farmen Lohnarbeit verrichteten und ohne jegliche Rechte waren. An der Schule wurden weiße Gewerkschafter und Studenten mit Techniken des Widerstands vertraut gemacht, mit denen sie sich gegen die unbeschränkte Ausbeutung wehren konnten. Das brachte die Einrichtung nicht nur ständig in Gefahr, von den
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