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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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irgendwann in ihren Heimatländern wiederzutreffen hoffte. Noch gab es keine diplomatischen Beziehungen zwischen Bonn und Moskau, und bisher hatte nur eine ganz kleine Gruppe westdeutscher Kollegen über sowjetische Stellen in Ost-Berlin Einladungen in die Sowjetunion bekommen, vornehmlich dann, wenn die Behörden in Moskau kurzfristig Informationen streuen wollten. Ich hatte noch nicht das Glück gehabt, zu einem solchen Moskaubesuch eingeladen zu werden.
    Nun lernte ich in Genf einen sowjetischen Kollegen kennen, der ein paar Jahre älter war als ich und als Korrespondent für die offizielle sowjetische Nachrichtenagentur TASS arbeitete. Wir waren nicht wirklich befreundet, konnten aber sachliche Gespräche führen, ohne ständig die Vorbehalte zu erwähnen, die jeder von uns gegen die politischen Erklärungen der anderen Seite haben mochte, und auch ohne die wodkaselige Geselligkeit, in die Bekanntschaften zwischen Russen und Deutschen manchmal abrutschten. In Genf hatte mein Bekannter noch einen Journalistenausweis, ein Jahr später traf ich ihn in Bonn mit einem Diplomatenpass wieder. Dabei war er nach wie vor bloß ein TASS -Korrespondent, von dem wir mit einiger Sicherheit annehmen konnten, dass er für den Nachrichtendienst des KGB arbeitete. Knapp zwanzig Jahre später sollte er ein wichtiger Mittelsmann bei der Vorbereitung der ersten deutsch-sowjetischen Abkommen sein.
    Bis zu diesen Verhandlungen, die Bundeskanzler Willy Brandt Ende der sechziger Jahre in Gang setzte, musste noch viel Zeit vergehen. Im Frühjahr 1955 verdichteten sich Berichte über eine bevorstehende Einladung der sowjetischen an die deutsche Regierung. Bundeskanzler Adenauer stand einem Besuch in Moskau jedoch skeptisch, ja ablehnend gegenüber. Dass die drei Westalliierten in Genf mit der Sowjetunion auch über Entspannung in Europa verhandelt hatten, schien ihm eher ein Warnzeichen. Er war besorgt, sie könnten gemeinsam mit Moskau einen Vertrag über die Zukunft Deutschlands aushandeln, bei dem die Interessen der Bundesrepublik hinter einer Entspannungslösung zurücktreten müssten. Eines der sowjetischen Ziele war es, die Existenz zweier selbständiger deutscher Staaten offiziell und international festschreiben zu lassen. Deshalb wünschte man in Moskau die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik. Wenn sowohl die BRD als auch die DDR weltweit diplomatische Beziehungen unterhalten konnten, so der Hintergedanke, wäre die Teilung Deutschlands formell bestätigt. Eine solche Entwicklung fürchteten nicht nur viele auf der Seite der drei westlichen Mächte, auch in der Bundesrepublik sahen die meisten Politiker darin eine kaum zu überwindende Barriere auf dem Weg zu einem in Westeuropa integrierten wiedervereinigten Deutschland.
    Die offizielle sowjetische Einladungsnote traf am 7. Juni kurz vor Adenauers Besuch in Washington ein. Auf dem Flug nach Amerika fragte ihn mein CBS -Kollege Dan Shaw, was er denn von dieser russischen Einladung halte. Ach, sagte der deutsche Bundeskanzler, er habe sie eben im Flugzeug zum ersten Mal gelesen. Das sei ein in lyrischen Worten gehaltener Text. Auf Shaws Nachfrage, warum er denn nach Moskau eingeladen werde, antwortete Adenauer flapsig: »Vielleicht haben die seit Stalins Tod keinen richtigen Diktator mehr gesehen.« Adenauer zweifelte öffentlich daran, dass die Verhandlungen in Moskau überhaupt sinnvoll seien, letztlich konnte er sie aber nicht von der internationalen Tagesordnung streichen. Der amerikanische Außenminister John Foster Dulles wunderte sich, dass der Kanzler die Frage der Wiedervereinigung in Moskau keinesfalls mit besonderem Nachdruck vorbringen wollte. Doch Adenauer wusste genau, dass er mit diesem Thema vor allem in Frankreich und England, aber auch in Amerika Misstrauen wecken könnte, die Bundesrepublik wolle womöglich – wie zur Zeit der Weimarer Republik – besondere Beziehungen zu Moskau anknüpfen. Bezeichnenderweise stand in den USA auf der Bestsellerliste der New York Times gerade ein Buch mit dem Titel Germany Plots With the Kremlin – Deutschland konspiriert mit dem Kreml. Adenauer, so hieß es darin, plane, mit Hilfe der Sowjetunion ein unabhängiges Deutschland zu schaffen, das dann gemeinsam mit Frankreich ein unabhängiges Europa gegen die USA bilden werde.
    Nachdem die Einladung in Bonn eingegangen war, hatte Konrad Adenauer immer häufiger vom Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen gesprochen. Im Laufe des Kriegs waren über drei

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