Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
Futtertrog scheißt«, und forderte seine Ausweisung aus der Sowjetunion. Die Moskauer Mitglieder des Schriftstellerverbands stimmten schließlich über den Ausschluss Pasternaks ab: Die einzige Gegenstimme kam vom jüngsten Mitglied, dem sechsundzwanzigjährigen Dichter Jewgeni Jewtuschenko. Ilja Ehrenburg blieb der Versammlung mit der Begründung fern, er sei erkältet.
Der Druck hielt gleichwohl unvermindert an. Tag und Nacht versammelten sich Demonstranten vor Pasternaks Haus, die ihn beschimpften und verfluchten. Ein Polizeiposten wurde zu seinem Schutz eingerichtet, ein Bereitschaftsarzt war ständig im Haus. Die Parteibürokraten fürchteten, der Schriftsteller könne in den Selbstmord getrieben werden, wie vor ihm schon die beiden anderen Dichter des großen Dreigestirns der zwanziger Jahre. Das immerhin wollte die Partei vermeiden. An die Schwedische Akademie, die ihm den Nobelpreis für Literatur zugesprochen hatte, sandte Pasternak schließlich ein Telegramm: »In Anbetracht der Bedeutung, die die Gesellschaft, an der ich teilhabe, dieser Auszeichnung unterstellt, muss ich den unverdienten Preis zurückweisen, der mir zuerkannt wurde. Seien Sie durch meine freiwillige Ablehnung nicht verletzt.«
An Nikita Chruschtschow schrieb Pasternak: »Ich wende mich an Sie persönlich und an das Zentralkomitee der KPDSU und an die sowjetische Regierung. Für mich ist es unmöglich, die Sowjetunion zu verlassen. Ich bin durch meine Geburt, mein Leben und meine Arbeit mit Russland verbunden. Was immer meine Fehler und Irrtümer gewesen sein mögen, so habe ich mir doch nicht vorstellen können, dass ich in den Mittelpunkt einer politischen Kampagne geraten würde, die man im Westen um meinen Namen entfacht hat. Nachdem mir das klar wurde, habe ich die Schwedische Akademie davon in Kenntnis gesetzt, dass ich freiwillig auf den Nobelpreis verzichte. Das Verlassen meines Landes wäre für mich gleichbedeutend mit dem Tode, und deshalb bitte ich Sie, nicht gegen mich die äußerste Maßnahme zu ergreifen. Mit der Hand auf dem Herzen kann ich sagen, dass ich etwas für die sowjetische Literatur getan habe und ihr noch nützlich sein kann. B. Pasternak.«
Weder Chruschtschow noch eine andere sowjetische Instanz beantworteten je diesen Brief, und die Drohung der Ausweisung hing damit immer noch in der Luft. Doch im Laufe der Zeit ließen die Hassdemonstrationen vor Pasternaks Haus nach, und auch die bösartigen Zeitungsartikel blieben schließlich aus. Solange Pasternak lebte, gab es gegen ihn keine Verleumdungskampagnen und Strafmaßnahmen mehr. Aber der Druck und die Angst begleiteten ihn weiter. Er mache sich weniger Sorgen um seine Familie, denn sie würden nach seinem Tod in der Schriftstellersiedlung Peredelkino weiterleben können. Umso mehr beunruhigte ihn jedoch das Schicksal seiner langjährigen Geliebten Olga Iwinskaja. Im Sommer 1958 , also noch vor der Verleihung des Nobelpreises, hatte er mich einmal gebeten, seine Freundin zu besuchen. Er wollte, dass jemand im Ausland von ihr wusste, falls sie nach seinem Tod verfolgt würde. Schon 1949 war sie unter einem Vorwand zu langer Haft verurteilt worden, um dadurch Pasternak zu bestrafen. Nun fragte er sich, was man Olga Iwinskaja antun könnte, sobald der Schutz seines Namens fehlte. Ich fuhr also zu ihrer Wohnung, wo sie mit Tochter und Sohn aus erster Ehe auf mich wartete – eine blonde, etwas füllige, aber immer noch schöne Frau. Anfangs sprachen wir über Pasternaks Arbeit, denn sie hielt mich zunächst für einen deutschen Wissenschaftler, der sich mit dessen Goethe-Übersetzungen beschäftigte. Wir tranken Tee, und ich versuchte zu verstehen, was sich Pasternak von diesem Besuch versprach – schließlich war diese Begegnung mit einem Ausländer nicht ungefährlich für Olga Iwinskaja. Schon seit langem und trotz ihrer Haftstrafe hatte sie sich beim Schriftstellerverband und bei Parteidienststellen für Pasternak eingesetzt und war dabei über Grenzen gegangen, die ein Sowjetbürger in dieser Zeit nur unter großer Gefahr überschreiten konnte.
Pasternak fürchtete, dass Olga Iwinskaja völlig mittellos zurückbleiben würde. Deshalb bat er mich, ihr eine möglichst große Summe Geld zu überlassen, ehe ich wieder in den Westen fuhr. Das war für uns alle drei riskant. Mit großer Vorsicht hielt ich daraufhin mit Olgas Tochter Irina Kontakt, indem ich gelegentlich von Münzfernsprechern in Theatern oder Restaurants anrief. Zugleich versuchte ich, eine
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