Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
Eingriffe entschieden zur Wehr setzten. In meinem Fall half mir auch der stellvertretende Bundespressechef Karl-Günther von Hase, als er sagte, das Chruschtschow-Porträt sei wichtig für eine sachliche Einschätzung der Möglichkeiten deutscher Außenpolitik.
Der Versuch, die Presse zum Instrument der Regierungspropaganda zu machen, war in dieser Zeit bei unseren französischen Nachbarn noch deutlicher zu erkennen als in der jungen Demokratie der Bundesrepublik. Unter gaullistischen wie sozialistischen Regierungen war die Pressezensur in Paris mehr oder weniger offiziell zu einem Instrument der Meinungsbeeinflussung geworden. Das bekam ich zu spüren, als das französische Staatsfernsehen eine Delegation nach Köln schickte, um beim WDR gegen meinen ersten Dokumentarfilm »Freiheit, und was dann?« zu protestieren. Das Thema des Films war die Entkolonisierung in Afrika. Am Beispiel von Kamerun hatte ich gezeigt, wie die französischen Kolonialherren mit Hilfe muslimischer Stammesführer den demokratischen Freiheitsdrang der einheimischen Schwarzen zu ersticken versuchten. Die Delegation drängte darauf, den Film aus dem Verkehr zu ziehen, aber so weit ging das Entgegenkommen der deutschen Rundfunkanstalten dann doch nicht.
Ich durfte also weiter Informationen und Bilder sammeln, die ich für eine fünfundvierzigminütige Fernsehsendung über den Zustand der französischen Politik benötigte. Zu dieser Zeit, als die Auflösung ihrer Kolonialmacht die Franzosen beunruhigte und damit auch das französisch-deutsche Verhältnis belastete, befand sich Frankreich praktisch im Krieg mit der algerischen Befreiungsbewegung. Wie in fast allen Kolonialkriegen wurden die Gegner als Menschen zweiter Klasse behandelt. Die Regierung hatte zur Charakterisierung dieser Auseinandersetzung einen Begriff eingeführt, der im Grunde das Kriegsrecht der Genfer Konvention außer Kraft setzte. Der Kolonialkrieg galt demnach als »Maßnahme der öffentlichen Ordnung« gegen den Terrorismus der algerischen Befreiungsfront, also als eine rein innenpolitische Angelegenheit. Das schränkte auch die Arbeitsmöglichkeiten unserer akkreditierten Kollegen im Pariser ARD -Studio ein, während ich als Reisekorrespondent mehr Freiheiten hatte, die problematischen Aspekte der französischen Politik darzustellen. Es gab zwar offiziell keine Zensurbehörde, aber in einzelnen Redaktionen von Presse, Hörfunk und Fernsehen arbeiteten staatlich eingesetzte Kontrolleure, die durchaus zu unterschiedlichen Bewertungen kommen konnten – eine Meldung oder ein Kommentar konnte von dem einen Zensor gesperrt, von dem anderen jedoch genehmigt werden. Grundsätzlich verboten waren Berichte über die Folterungen, die von der Armeeführung nicht nur geduldet, sondern ausdrücklich angeordnet wurden.
Fast alle französischen Kollegen, die ich kannte, waren Gegner dieses mit äußerster Härte geführten spätkolonialen Kriegs. Linksliberale, aber auch katholische Konservative meldeten sich mit Protesten zu Wort. Frankreichs staatliche Stellen ließen sich jedoch immer neue Schikanen gegen jene kritischen Zeitungen und Zeitschriften einfallen, die den Algerienkrieg und die Protestkundgebungen in Frankreich umfassend darstellen wollten. So wurden beispielsweise einzelne Ausgaben am Tag des Erscheinens von der Regierung beschlagnahmt. Wenn Tage später ein Gericht entschied, sie habe nichts Verbotenes enthalten, bekamen Verleger und Redakteure ihre Zeitungen zurück, aber durch die Verzögerung waren sie unverkäuflich geworden. In Frankreich und Algerien wurden angesehene Blätter – Le Monde , L’Express , France Observateur – mit diesem Mittel der zeitweiligen Beschlagnahmung unter Druck gesetzt.
Die Zeitungsverlage, ihre Redakteure und Reporter lebten folglich ständig mit der Gefahr, dass ihr Blatt in Konkurs geriet. Eine freie Berichterstattung wurde auf diese Weise fast unmöglich gemacht. Manche französische Kollegen hätten eine offene amtliche Zensur für erträglicher gehalten als eine derart unberechenbare Verletzung der Pressefreiheit. Gelegentlich gingen die Behörden noch weiter: Bei einem Polizeieinsatz gegen eine Großdemonstration in Paris waren mehrere Menschen getötet worden, unser Kameramann hatte einen Schlag auf den Kopf abbekommen. Das Informationsministerium wies die Nachrichtenredakteure des Staatsfernsehens an, eine Falschmeldung zu verkünden. Die Demonstranten, so die Sprachregelung, hätten sich auf einer U-Bahn-Treppe gegenseitig
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