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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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möglichst große Summe in Rubel zusammenzubringen. Von meinem Konto bei der Außenhandelsbank hob ich mehr Geld ab, als ich benötigte. Im Warteraum des bundesdeutschen Konsulats sprach ich vorsichtig russlanddeutsche Aussiedler an, die ihre Rubel nicht mit nach Deutschland nehmen durften. Sie überließen sie mir gegen das Versprechen, ihnen später in Deutschland den entsprechenden Betrag in D-Mark zurückzugeben. Das schien mir eine vertretbare Umgehung der Devisenbestimmungen, ebenso wie Pasternaks Vorschlag, mir mein Geld eines Tages aus seinen westlichen Honoraren zurückzuüberweisen. Bevor ich schließlich im Herbst 1958 nach Deutschland zurückkehrte, verabredete ich mich mit Irina Iwinskaja in der Metro-Station Majakowskiplatz. In der Menschenmenge des Berufsverkehrs übergab ich ihr im Vorübergehen das Bündel der gesammelten Rubelscheine, in die Parteizeitung Prawda eingeschlagen. Offenbar waren wir vorsichtig genug gewesen, denn in dem Gerichtsverfahren, bei dem ihre Mutter 1960 , wenige Monate nach Pasternaks Tod, erneut zu langer Lagerhaft verurteilt wurde, spielte unsere Geldübergabe keine Rolle. Andere Besucher aus dem Ausland hatten offenkundig mit weniger Vorsicht geholfen.
    Meine Freundschaft mit Pasternak hatte die Behörden schon lange nach Maßnahmen gegen mich suchen lassen. Ende Oktober 1958 lief meine Akkreditierung als Korrespondent in der Sowjetunion ab, und normalerweise hätte ich automatisch eine Verlängerung bekommen. Diesmal jedoch teilte mir ein junger Diplomat im Außenministerium mit freundlichem Bedauern mit, mein Visum könne nur noch um drei Wochen verlängert werden. »Man« habe die Presseabteilung des Ministeriums davon in Kenntnis gesetzt, dass ich von nun an nur noch ein Besuchervisum hätte. Ich ging in mein Hotelzimmer, packte meine Koffer und landete zwei Tage später wieder in Deutschland.
    Sowjetische Schriftsteller, gleichgültig, ob sie nun für oder gegen Pasternak gewesen waren, zeigten sich immer weniger bereit, den »Fall Pasternak« und seine Folgen zu kommentieren und den Dichter zu verurteilen. Sie zogen es sicherheitshalber vor, ihn gar nicht zu erwähnen. Auch sie konnten nicht wirklich verstehen, warum der Nobelpreis im Herbst 1958 in Parteikreisen einen so heftigen Wutausbruch ausgelöst hatte. Ihnen allen aber war klar, was es bedeutete, dass auf dem Friedhof Peredelkino am Grabe Pasternaks stets mehr Sträuße, Kränze und Briefe von Verehrerinnen lagen als auf allen Gräbern des Friedhofs zusammen.

Freiheit, und was dann?
    Menschenrechte und Pressefreiheit 1959–1962
    Das Fernsehen, das in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre mit Versuchssendungen begann, hatte sich während meiner Zeit in der Sowjetunion in einer Weise verändert, wie ich es mir nicht hatte vorstellen können. Es begann zum Massenmedium zu werden. Ich kam zurück in eine Welt, in der ständig Experimente mit den verschiedensten Sendeformen im In- und Ausland möglich und sogar nötig waren. Das hieß für mich Redaktionsarbeit in aktuellen und regionalen Sendungen, Sonderberichterstattung von den großen internationalen Konferenzen, die Gründung und Entwicklung der heute noch lebendigen Sendung Weltspiegel und die Auslandsberichterstattung in größeren, kritischen Dokumentarfilmen. In diesen Jahren sammelte ich Erfahrungen der verschiedensten Art, nicht nur mit dem Medium selbst, sondern auch mit den Hindernissen, auf die eine unvoreingenommene, kritische Berichterstattung regelmäßig stieß.
    In der Sowjetunion hatte ich kennengelernt, was klassische, altmodische Zensur bedeutete. Ich wusste, dass mein Buch über Boris Pasternak, das ich noch in Moskau begonnen hatte, nie die Zensurabteilung im zentralen Telegrafenamt hätte passieren können. Daher hatte ich das Manuskript einem deutschen Geschäftsmann mitgegeben, der es in Deutschland beim Verlag ablieferte. Nun war ich zurück in der Bundesrepublik, wo es keine amtliche Zensur gab. Dennoch ging es auch hier nicht immer ohne Schwierigkeiten ab: Einmal behaupteten zwei CDU -Hinterbänkler im Bundestag, ich hätte Nikita Chruschtschow in einem biografischen Rundfunkporträt zu positiv und propagandistisch dargestellt, und verlangten, die Leitung des WDR solle mich maßregeln. Häufiger kam es vor, dass Politiker in inoffiziellem Kontakt mit Rundfunk- und Fernsehchefs kritische Journalisten auszuschalten versuchten. Es gab Intendanten und Programmdirektoren, die solche Hinweise aufnahmen, und andere, die sich gegen solche

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