Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
totgetreten. Die Fernsehredakteure weigerten sich, diese Version zu verbreiten. Daraufhin sandte das Informationsministerium einen Sprecher in das Nachrichtenstudio, der die Meldung verlas. Natürlich war all dies nicht vergleichbar mit der totalen Informationssteuerung, wie ich sie in der Sowjetunion erlebt hatte. Dennoch schockierte es mich zu sehen, welche Maßnahmen eine demokratische Regierung zur Vertuschung der Wahrheit und zur Unterdrückung ihrer Gegner und Kritiker einzusetzen bereit war.
Meine Sympathien lagen bei den französischen Linksliberalen, aber auch bei den Führern des algerischen Unabhängigkeitskampfes, und so konnte ich stets auf das Wohlwollen einiger französischer Kollegen zählen. Gleichwohl war es schwierig, Verbindungen aufzubauen, die mich nicht nur zu den Ausbildungslagern der algerischen Nationalen Befreiungsfront im Nachbarland Tunesien brachten, sondern auch zu den rechtsextremen Untergrundkämpfern der Organisation de l’Armée Secrète ( OAS ). Diese terroristische Gruppierung wollte den Status Algeriens als französisches Département, in Wirklichkeit als eine Kolonie mit allen Mitteln verteidigen. Sie begann in Frankreich einen Untergrundkrieg zu führen, der sich nicht nur gegen die algerischen Freiheitskämpfer richtete, sondern mit fast noch größerer Brutalität auch gegen die eigene Regierung, die nach Ansicht der OAS in Algerien nicht entschieden genug eingriff. Während ich in Nordafrika und in Frankreich zuverlässige Informationen suchte, bemerkte ich, dass ich zwischen den Netzen verfeindeter Geheimdienste manövrierte.
Einer der hilfsbereiten Kollegen, die mich zuweilen mit Informationen versorgten, war ein ehemaliger Offizier der französischen Armee. Nun arbeitete er für eine konservative Tageszeitung und war auch in deutschen Fernsehdiskussionen ein gern gesehener Gast. In Paris überraschte er mich eines Nachmittags mit einem Vorschlag: Ich solle mit einem Kamerateam abends um elf vor meinem Hotel bereitstehen und mich von einem Lastwagen abholen lassen. Wir würden an einen Ort gebracht, an dem wir in einem Hauseingang unsere Kamera aufbauen könnten. Um Mitternacht würde das Gebäude gegenüber in die Luft gehen, gesprengt von einem Trupp der OAS . Bis dahin hatte ich den Mann eher für den Mitarbeiter eines der staatlichen französischen Geheimdienste gehalten. Nun fragte ich mich, ob er vielleicht im Untergrund beides sei, Vertreter der Ordnungsmacht und der extremen Rechten. Er schien enttäuscht, dass ich seine Einladung nicht annehmen wollte, und hielt mich wohl für feige. Oder das Ganze war der Versuch eines der Geheimdienste, uns zu testen und in eine Falle zu locken. Vielleicht ging es aber auch nur um einen Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen französischen Geheimorganen.
Spätnachts auf der Rückfahrt nach Deutschland wurde unser Auto dann an einem kleinen, abgelegenen Kontrollpunkt an der französisch-belgischen Grenze von einer Gruppe von Beamten gestoppt. Der Wagen wurde bei der Durchsuchung förmlich auseinandergenommen, aber wir hatten alles, was uns an Aufnahmen wichtig war, schon auf anderen Wegen nach Deutschland geschickt. So konnten wir uns nach zwei Stunden der Untersuchung von den Beamten verabschieden und grübelten: Wer war es wohl, der uns hereinlegen, verdächtig machen oder missbrauchen wollte? In dieser Zeit misstraute jeder jedem.
Nachdem mein Film in der ARD gelaufen war, erhob das französische Außenministerium beim Auswärtigen Amt in Bonn offiziell Protest. Man warf mir vor, ich hätte sowohl für die algerische Freiheitsbewegung wie auch für die Untergrundleute der OAS Propaganda betrieben – einfacher gesagt, ich hätte mich nicht an die Linie des französischen Informationsministeriums gehalten. In jener Zeit hätte das zu einem großen Problem für mich werden können, wenn nicht angesehene französische Kollegen wie Michel Gordey und Stéphane Roussel nachdrücklich darauf verwiesen hätten, dass die Anschuldigungen haltlos seien und einen Eingriff in die Freiheit der Berichterstattung bedeuteten.
1960 stand ich schließlich vor einer Aufgabe, wie sie mir in meiner journalistischen Karriere noch nicht vorgekommen war: Ich sollte an dem bis dahin größten und wichtigsten Dokumentarprojekt im deutschen Fernsehen mitarbeiten. Die Intendanten des Süddeutschen und des Westdeutschen Rundfunks hatten sich darauf geeinigt, in einer großen Serie die Geschichte des Dritten Reichs darzustellen – in vierzehn Folgen
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