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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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Journalisten in Washington: »Jetzt haben wir ein Problem. Wir müssen unsere Macht glaubwürdig machen, und Vietnam scheint dafür der richtige Ort.« Sein Vorgänger Eisenhower hatte es abgelehnt, mehr als 900 amerikanische Soldaten als Militärberater nach Vietnam zu entsenden. Am Ende seiner kurzen Präsidentschaft hatte Kennedy schon 16.000 Soldaten nach Südvietnam geschickt, und unter dem Einfluss der Experten wuchs ihre Zahl ständig. Sein Nachfolger Lyndon Johnson hielt den Krieg zunächst für eine zweitrangige, fast lokale Auseinandersetzung und versprach, Amerikas Verstrickung in den Vietnamkrieg schnell zu beenden. Dann jedoch erhöhte auch er Schritt für Schritt Amerikas Einsatz. Er war zwar ein erfahrener und schlauer Innenpolitiker, aber in der Außenpolitik war er auf die Minister und den Beraterstab von John F. Kennedy angewiesen, bekannte, hoch angesehene Fachleute für internationale Politik, die ihn beeindruckten und deren Rat er folgte.
    Im Herbst 1967 waren bereits rund 400 000 US -Soldaten in Vietnam stationiert, gleichzeitig wuchsen in der amerikanischen Öffentlichkeit die Zweifel. Auch weil die Nordvietnamesen durch Waffenlieferungen aus der Sowjetunion und China gestützt wurden, war ein durchschlagender Erfolg bis dahin ausgeblieben. In dieser Situation besorgten wir für das Team unseres Washingtoner Studios eine Akkreditierung bei der amerikanischen Militärführung in Vietnam. Wir fuhren mit einer kleinen Mannschaft: mein langjähriger Kameramann, Dieter Perschke, sein Assistent, ein Tonmann und ich. Dazu kam noch ein vietnamesischer Dolmetscher und Redaktionsassistent, von dessen Ortskenntnis wir abhängig waren. Er hatte sehr präzis für englische Kollegen gearbeitet, und so riskierten auch wir es, uns auf ihn zu verlassen. Mit ihm suchten wir uns Fahrtrouten aus, auf denen wir uns von den Stützpunkten der US -Armee und ihrer Verbündeten in die Dörfer und Kleinstädte des Hinterlands durchschlagen konnten. Tagsüber blieb die Lage entspannt, der Kontakt zur ländlichen Bevölkerung schien ungefährlich. Unheimlich waren solche Ausflüge dennoch. Ortsvorsteher warnten uns davor, die Hauptstraßen zu verlassen: Im Sichtschutz der sumpfigen Reisfelder säßen versteckte Gruppen des Vietcong, die das Feuer auf uns eröffnen könnten. Nachts seien diese Straßen unpassierbar und die Dörfer unter der Kontrolle der kommunistischen Untergrundkämpfer. Immer wieder hörten wir von Ortsvorstehern und Verwaltungsbeamten, die über Nacht entführt oder erschossen worden seien. So setzten wir alles daran, abends möglichst wieder unser Hotel in Saigon zu erreichen.
    In der Hauptstadt Südvietnams war die Lage gewöhnlich eher ruhig. Es gab vereinzelte Bombenattentate, aber meist in der Nähe des Stadtrands, seltener im Zentrum, wo das Hotel Continental lag, die Lieblingsunterkunft der ausländischen Journalisten. Die Lobby war ein großer Basar der Gerüchte, aber immerhin gab es hier eine Art Austausch, mit Hilfe dessen man sich vorsichtig orientieren konnte. Die Informationsabteilung der amerikanischen Armee dagegen war weniger zuverlässig. Präsident Johnson hatte eine »Politik der minimalen Offenheit« verkündet, aufgrund derer die Informationsoffiziere im Auftrag der politischen Führung Berichte »frisierten«. Tatsächlich entdeckte ich, dass ein ehemaliger Kollege, den ich schon aus Korea kannte, nicht nur Nachrichten vertuschte, sondern mich auch in Bezug auf die Ziele und das Ausmaß des Truppeneinsatzes eindeutig belog. Folglich gab es einigermaßen zutreffende Auskünfte nur, wenn man sie sich selbst besorgte und mit erfahrenen Kollegen austauschte.
    In Saigon herrschte eine Art Waffenstillstand zwischen dem Vietcong und den ausländischen Journalisten und Diplomaten, soweit sie nicht Amerikaner waren. Jedenfalls war in der Stadt seit Jahren kein Europäer überfallen oder ermordet worden. Während der Neujahrstage, so erzählten mir die Kollegen, unternehme der Vietcong auch außerhalb der Stadt keine Attentate und Angriffe. Es waren die Tage im Jahr, an denen Ausländer sich ins Auto setzten und ans Meer fuhren. Tet, das bevorstehende chinesische Neujahrsfest, bedeutete auch so etwas wie Ferien vom Krieg, darüber waren sich alle einig. Also machten auch wir uns Ende Januar 1968 auf zu einer zweistündigen Autofahrt an einen ehemaligen Badeort an der Küste und legten uns im weißen Sand in die Sonne. Aber schon nach einer Stunde kam unser Dolmetscher mit besorgter Miene:

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