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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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Nachfolge: den Vizepräsidenten Hubert Humphrey, einen liberalen, aber eher farblosen Mann aus dem Parteiapparat, der die Politik Johnsons fortsetzen würde, dann Senator Eugene McCarthy, einen gebildeten, nachdenklichen Mann aus der Mitte der demokratischen Partei, dessen wichtigstes Thema die Forderung nach dem sofortigen Ende des Vietnamkriegs war, und schließlich Robert Kennedy, der erst spät, zwei Wochen vor Johnsons Rückzug, seine Kandidatur angekündigt hatte.
    Vielen meiner amerikanischen Freunde fiel die Entscheidung außerordentlich schwer: Sowohl McCarthy wie Kennedy wollten den Krieg in Vietnam beenden. Für McCarthy sprach, dass er seine Kandidatur schon zu einem Zeitpunkt erklärt hatte, als Lyndon Johnson noch unbesiegbar schien; Kennedy dagegen brachte die Strahlkraft des großen Namens mit und obendrein ein Reformprogramm, mit dem er den republikanischen Kandidaten Richard Nixon schlagen wollte. Wenn wir ihren jeweiligen Wahlkampfteams hinterherfuhren, kamen wir mit Kennedy in die schwarzen Stadtteile und in die wohlhabenderen Vorstädte, während wir McCarthy in die Universitätsviertel folgten, zu Studenten, die sich für ihn als Kriegsgegner entschieden hatten, obwohl er keine Chance zu haben schien. Bei Kennedys Auftritten gab es – besonders unter den Schwarzen – mehr Jubel und Begeisterung, bei McCarthy so etwas wie Verehrung für einen Mann, der seine Karriere für den Frieden riskierte. Und immer wieder traf ich Leute, denen es ebenso ging wie mir: McCarthy erschien uns sympathischer und selbstloser, aber Robert Kennedy war derjenige, der gewinnen und Amerika verändern konnte.
    Am 4. Juni 1968 folgten wir den beiden Kandidaten in die Wahllokale verschiedener Stadtteile von Los Angeles. Eine wichtige Entscheidung stand an. Wer die Vorwahl in Kalifornien gewann, würde einen großen Schritt in Richtung Kandidatur machen. Die meisten Journalisten und Kamerateams, darunter auch wir, begleiteten Kennedy, denn der galt als der Mann mit den besseren Chancen und dem höheren Nachrichtenwert. Wir erwarteten ihn im Ballsaal des Ambassador-Hotels, sahen, wie ihm Mitarbeiter einen Weg durch die wartende Menge freimachten. Als die Wahllokale schlossen, bedankte sich Kennedy bei seinen Anhängern mit einer Rede. Wir ließen nur unseren Kameraassistenten im Ballsaal zurück, der die Ansprache des Kandidaten aufnehmen sollte, wenn das Ergebnis vorlag. McCarthy, so schien uns, konnte nicht gewinnen, aber gerade deswegen wollten wir beobachten, wie seine jungen begeisterten Anhänger auf die Niederlage reagieren würden. Als wir in McCarthys Hauptquartier ankamen, herrschte im Saal noch Wahlkampfatmosphäre: Junge Leute sangen Spottlieder auf Kennedy und nannten ihn einen Opportunisten, der nicht aus Überzeugung antrete, sondern weil er den »Kennedy-Platz« im Weißen Haus besetzen wolle. Die Stimmung war gereizt. Plötzlich trat ein Mann sehr langsam und ernst ans Rednerpult. Er bat um Ruhe, und er tat dies so eindringlich, dass alle sofort verstummten. Und dann verkündete er: Auf Robert Kennedy sei wenige Minuten zuvor geschossen worden. Niemand sagte ein Wort. Eben noch waren sie seine kritischen Gegner gewesen, doch nun erkannten sie, dass trotz allem gerade sie große Hoffnungen in ihn gesetzt hatten.
    Mein Team und ich rasten zum Ambassador-Hotel zurück, wo unser Kameraassistent die Geschehnisse drehte: Kennedys Mitarbeiter hatten den Kandidaten nach seiner Rede nicht noch einmal in die begeisterte Menge gehen lassen, sondern ihn nach hinten über die Bühne zu einer Pressekonferenz gebracht. Der Weg führte durch einen Korridor zum Kücheneingang. Ein einziger pensionierter Polizist sorgte für Kennedys Sicherheit und schob störende Anhänger aus dem Weg. Kennedy schüttelte die Hand eines Hotelpagen, als ein Mann hinter der Eismaschine hervortrat und mehrere Schüsse auf ihn abgab. Unser Kameraassistent hatte als Einziger gefilmt, wie Kennedy zu Boden stürzte und wie seine Begleiter den Schützen überwältigten, Sirhan Sirhan, einen vierundzwanzigjährigen Christen aus Palästina, wie wir später aus einer sehr kurzen Information für die Presse erfuhren. Nun sahen wir Robert Kennedys Frau Ethel am Gang vor der Küche. Wir filmten, wie sie zu ihrem Mann geführt wurde und neben ihm niederkniete. Er wandte ihr das Gesicht zu und schien sie zu erkennen, dann trug man ihn auf einer Bahre fort zum Krankenwagen.
    Die vielen Menschen, die ihm kurz vorher noch zugejubelt hatten, blickten dem

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