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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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entschied sofort: Natürlich könne der deutsche Bundeskanzler seine Ansprache beim sowjetischen Fernsehen aufnehmen. Mit dieser Nachricht schickte Ahlers ein Delegationsmitglied auf denselben langen Weg durch den Kreml zu uns, und wir gaben sie an das sowjetische Fernsehen weiter.
    Damit aber waren unsere Verhandlungen nicht zu Ende. Niemand wollte uns sagen, wo die Ansprache des Bundeskanzlers am nächsten Morgen aufgezeichnet werden sollte. Es hieß lediglich, der Kanzler werde nach dem Frühstück abgeholt und in ein Studio gebracht. Also postierten Lothar Loewe und ich uns morgens in seinem Volkswagen auf der Straße vor dem Gästehaus der Regierung und warteten. Als die Wagen mit Willy Brandt und seinen engsten Mitarbeitern mit hoher Geschwindigkeit aus dem großen Tor herausgeschossen kamen, hängten wir uns sofort an sie dran. Die Begleitwagen versuchten mehrfach, uns in die Bäume am Straßenrand abzudrängen oder auszubremsen. Aber wir waren sicher, dass sie während des Brandt-Besuchs keinen Unfall mit uns provozieren durften, und blieben nah an der Kolonne. Sie fuhr überraschenderweise nicht zum großen Hauptgebäude des Fernsehens in Ostankino, sondern in eine ganz andere Richtung. Schließlich stoppten wir auf dem Hof eines Hauses, an dem nichts darauf hindeutete, dass es sich um ein Fernsehstudio handelte. Sergej Lapin war bereits vor Ort, wurde als Mitglied des Zentralkomitees im Ministerrang vorgestellt und nahm den deutschen Bundeskanzler mit kühler Formalität in Empfang. Dann sahen wir von einem improvisierten Kontrollraum aus in eine Art Studio, in dem Willy Brandt an einem hölzernen Tisch saß, äußerlich ruhig, aber doch angespannt. Während er wartete, zerbrach er Streichhölzer und klopfte unablässig mit dem Fuß auf den Boden. Niemand vom sowjetischen Personal konnte sagen, wann es weitergehen würde. Schließlich kam ein technischer Mitarbeiter und stellte vor dem Kanzler ein großes Schild auf den Tisch: » APN – Presseagentur Novosti«. Das hatten auch die sowjetischen Studiotechniker noch nie gesehen: Der Fernsehvorsitzende demonstrierte damit, dass sein Fernsehen nicht für eine Ansprache des deutschen Bundeskanzlers zur Verfügung stand. Die Übertragung begann und endete somit ohne das gewohnte Logo des Sowjetfernsehens. Willy Brandt sprach etwa fünf Minuten, und es war deutlich, dass er sich mit dieser Rede vor allem auch an die politische Opposition in Deutschland wandte. Mit diesem Vertrag gehe nichts verloren, was nicht längst verspielt worden sei, sagte er. Der Vertrag beeinträchtige in keiner Weise die feste Verankerung der Bundesrepublik im westlichen Bündnis, er gefährde nichts und niemanden, sondern solle mithelfen, den Weg nach vorn zu öffnen, und werde dem Frieden in ganz Europa nützen.
    Der deutsche Bundeskanzler blieb nach der Aufzeichnung noch einige Minuten am Studiotisch sitzen, doch der sowjetische Fernsehchef mied ein Gespräch mit ihm und machte den Abschied kurz. Brandt fuhr zum Kreml zurück. »Nun macht mal schön und sagt uns Bescheid, wann die Überspielung in Bonn ankommt«, sagte Conrad Ahlers. Die Frage gaben wir an die sowjetischen Techniker weiter, denn wir mussten Leitungen und ein Aufnahmestudio in Deutschland bestellen. Die Antwort war nur ein Achselzucken. Das, sagte ein Fernsehvertreter, sei nicht seine Sache: »Das Band mit der Aufzeichnung wird an die deutsche Botschaft ausgeliefert werden.« Und dann ging auch er. Wir fuhren ohne Behinderung in die Stadt zurück und überlegten, ob es noch möglich sei, die Aufzeichnung per Flugzeug wenn nicht direkt nach Deutschland, so doch nach Helsinki oder Wien zu schaffen und von dort aus überspielen zu lassen. Aber dazu reichte die Zeit bis zur abendlichen Sendung nicht mehr. Also versuchten wir erneut, Conrad Ahlers im Kreml zu informieren. Er schaffte es unter großen Schwierigkeiten, zu Breschnew und Brandt vorzudringen, und Breschnew zeigte sich überrascht: Natürlich werde die Ansprache des Kanzlers nach Deutschland übermittelt, erklärte er. Deshalb sei sie ja gemacht worden. Mehr erfuhren wir nicht, aber wir informierten die Kollegen von der Tagesschau in Hamburg über Fernschreiber, dass am späten Nachmittag eine Leitung aus der Sowjetunion auflaufen werde. Möglicherweise komme kein schriftlicher Bescheid, aber die Technik müsse einfach für einen Sekundenstart bereit sein.
    Tatsächlich kam die Leitung schließlich über Schaltstellen in der DDR und in Polen zustande, und die

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