Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
Parteizentralen und Fraktionsführungen vertreten mochte. Die Sekundenzählerei, mit der manche Parteimitarbeiter ihren Arbeitseifer demonstrierten, ertrug ich nur schwer. Immer wieder ging es um den Vorwurf, in unseren Sendungen habe die eine Partei eine oder eine halbe Sendeminute mehr oder weniger gehabt als die andere. Die mechanische Zählerei und das Misstrauen, das sich darin ausdrückte, stammten mehr aus dem Mittelbau als von den bekannteren Abgeordneten oder den Führungsspitzen der Parteien. Ärgerlich waren sie dennoch. So kam es mir sehr gelegen, als sich im Sommer 1972 die Möglichkeit bot, den ehemaligen Außenminister Gerhard Schröder auf einer großen offiziellen Reise nach China zu begleiten.
Um die Beziehungen zu China hatte es in Bonn schon längere Zeit eine heftige Auseinandersetzung gegeben. Die Bundesregierung war von sowjetischen Diplomaten gewarnt worden: Engere Kontakte zwischen Bonn und Peking würde Moskau als Unterstützung der Politik der Amerikaner deuten, die durch eine engere Zusammenarbeit mit den Chinesen die Sowjetunion unter Druck setzen wollte. Um nicht die Entspannung zu stören, die sich gerade zwischen Bonn und Moskau abzeichnete, behandelte die Bundesregierung deshalb jeden Kontakt mit der chinesischen Regierung vorsichtig und zurückhaltend. Egon Bahr warnte vor einem Scheitern des Moskauer Vertrags, falls das Auswärtige Amt gleichzeitig diplomatische Beziehungen mit Peking aufzunehmen versuche. Darauf reagierte die Opposition mit scharfer, grundsätzlicher Kritik. Die Bonner Regierung habe sich dem Druck der Sowjetunion ausgeliefert und richte sich nun nach den Wünschen Moskaus, lautete der Vorwurf. Es war jedenfalls eine undurchsichtige Situation in Bonn, bei der aus Peking keine erklärenden Signale kamen und aus Moskau meist nur harte Warnungen vor einem »Bündniswechsel«.
Ich hatte das Glück, dass einer meiner ältesten russischen Bekannten, der Journalist und Spezialist für Außenpolitik Lew Besymenski, zu Gesprächen nach Bonn kam. Anderthalb Jahrzehnte zuvor war er in Moskau mein halboffizieller Kontaktmann gewesen. Gelegentlich hatten wir zusammen gegessen. Unsere Gespräche waren mit der Zeit vertrauter geworden, schließlich empfanden wir uns als Freunde, redeten ziemlich offen und hatten uns angewöhnt, Einschätzungen der deutsch-sowjetischen Beziehungen auszutauschen. Bei seinem Bonn-Besuch zur Zeit der Diskussionen um die China-Politik der Bundesregierung warnte Besymenski davor, die Besorgnisse eines Teils der hohen Sowjetfunktionäre zu unterschätzen. Er deutete an, Walter Ulbricht – bis zu seiner Entmachtung im Mai 1971 SED -Parteichef in der DDR – habe seine Ämter auch deshalb verloren, weil er den Kontakt mit China nutzen wollte, um sich im Verhältnis zu Moskau mehr Luft zu verschaffen. Andererseits, so ließ er in unseren Gesprächen auch durchblicken, selbst wenn Beziehungen zwischen Bonn und Peking aufgenommen würden, erwarte die sowjetische Führung davon keine praktischen weltpolitischen Veränderungen, da Peking zu einer zielgerichteten Außenpolitik gar nicht in der Lage sei.
Im Januar 1972 kontaktierte die Bundesregierung die Volksrepublik auf dem Weg über die beiden Botschafter in Paris mit einer Anfrage: Ob Peking zur Aufnahme von Verhandlungen über diplomatische Beziehungen bereit sei. Von chinesischer Seite kam keine Antwort. Stattdessen traf im April 1972 in Bonn eine Einladung ein, die nicht an die Bundesregierung, sondern an einen Mann der Opposition gerichtet war: an den ehemaligen Außenminister Gerhard Schröder von der CDU , nun Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags. Im Regierungslager empfand man das fast als beleidigend. Auch mich traf Kritik: Da ich zu den sechzehn Journalisten in Schröders Reisegruppe gehören sollte, sahen manche meiner Kollegen in dieser Teilnahme einen unfreundlichen Akt gegen die Regierung. Oppositionspolitiker hingegen gratulierten mir und vermuteten hinter meinem Entschluss eine Ablehnung der Ostpolitik Willy Brandts. Ich aber war einfach nur neugierig und wollte mir auf dieser Reise, so weit es überhaupt möglich war, ein eigenes Bild von dem geheimnisvollen, riesigen kommunistischen Land machen. Gegen Ende der fünfziger Jahre hatte ich schon einmal den Versuch unternommen, Chinesisch zu lernen, in der Hoffnung, als Korrespondent nach Peking gehen zu können. Aber nachdem sich mit der Kulturrevolution die politische Situation immer weiter verhärtet hatte,
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