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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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wiedersehen, ich kann es ihr nicht verdenken. Falls du Ed siehst, irgendwo unterwegs, sage ihm, dass ich ihn umbringen werde, falls er nicht wiederkommt.»
    Deutliche Worte. Es war der traurigste Abend, der sich denken ließ. Ich kam mir vor wie unter fremden Brüdern und Schwestern in einem jämmerlichen Traum. Tiefes Schweigen breitete sich aus; wo Dean sich früher herausgeredet hätte, war auch er jetzt verstummt, aber er stand vor allen anderen, abgerissen, gebrochen, ein Idiot im Licht der Deckenlampe, mit seinem knochigen, schweißbedeckten Gesicht und pochenden Adern, und er sagte immer nur: «Ja, ja, ja», als ob ihn die ganze Zeit ungeheure Offenbarungen bestürmten, und das taten sie auch, davon bin ich überzeugt, und auch die anderen ahnten es und erschraken. Von Gott geschlagen war er – Urgrund aller Gottseligkeit, BEAT und beatific in einem. Was mochte er wissen? Er versuchte mir mit aller Macht mitzuteilen, was er wusste, und sie beneideten mich darum, neideten mir den Platz an seiner Seite, dass ich ihn verteidigte und ihn in mich aufsog, wie sie es einst versucht hatten. Sie sahen mich an. Was hatte ich, ein Fremder, an diesem schönen Abend hier an der Westküste zu suchen? Mich schauderte bei dem Gedanken.
    «Wir fahren nach Italien», sagte ich, und ich wusch meine Hände in Unschuld. Andererseits lag aber auch ein sonderbares Gefühl mütterlicher Befriedigung in der Luft, denn die Mädchen betrachteten Dean wirklich so, wie eine Mutter ihr liebstes und ungezogenstes Kind ansieht, und er mit seinem Daumen und all seinen Offenbarungen wusste es wohl, und deshalb schaffte er es, auch in dieser tick-tack-tickenden Stille ohne ein weiteres Wort aus der Wohnung zu gehen und unten auf uns zu warten, bis wir uns über die Zeit geeinigt hätten. Das war’s, was wir über das Gespenst auf dem Bürgersteig dachten. Ich sah aus dem Fenster. Er stand allein vor der Haustür und blickte über die Straße hin. Bitterkeit, Vorwürfe, gute Ratschläge, moralische Vorhaltungen, Traurigkeit – all dies lag hinter ihm, und vor ihm lag die irre, ekstatische Freude des reinen Seins.
    «Kommt, Galatea und Marie, gehen wir Jazz hören und vergessen wir’s. Eines Tages wird Dean gestorben sein. Was könnt ihr dann zu ihm sagen?»
    «Je eher er stirbt, desto besser», sagte Galatea, und sie sprach feierlich und für die meisten der Anwesenden.
    «Also gut», sagte ich, «aber noch lebt er, und ich möchte wetten, dass ihr neugierig seid, was er als Nächstes anstellen wird, und zwar deshalb, weil er das Geheimnis besitzt, nach dem wir alle so verzweifelt suchen, und wenn es ihm nun den Kopf sprengt, wenn er darüber verrückt wird – macht euch nichts draus, es ist nicht eure Schuld, sondern die Schuld Gottes.»
    Sie protestierten; sie sagten, ich kennte Dean nicht wirklich; er sei der schlimmste Schurke, der je auf Erden gelebt habe, sagten sie, das würde ich eines Tages schon noch zu meinem Bedauern herausfinden. Belustigt hörte ich mir an, wie sie sich ereiferten. Roy Johnson machte sich für die Ladys stark und meinte, er kenne Dean besser als irgendjemand sonst, und Dean sei einfach ein sehr interessanter und sogar amüsanter Schwindler. Ich ging zu Dean hinaus, und wir sprachen kurz darüber.
    «Ach, Mann, mach dir keine Sorgen, es ist doch alles bestens und in Ordnung.» Er rieb sich den Bauch und leckte sich die Lippen.

vier
    Die Mädchen kamen herunter, und wir brachen auf zu unserer tollen Nacht, aber erst einmal mussten wir wieder den Wagen anschieben. «Yippiiie, jetzt geht’s los», schrie Dean, und wir sprangen hinten ins Auto und ratterten nach Little Harlem an der Folsom Street.
    Wir sprangen raus in die heiße verrückte Nacht und hörten von gegenüber ein ausgeflipptes Tenorsaxophon jaulen, «Iiiihjoooh! Iiih-joooh! Iiih-joooh!», dazu Hände, die den Rhythmus klatschten, und kreischende Stimmen: «Go, go, go!» Dean rannte schon über die Straße, den Daumen hoch in die Luft gereckt, und rief: «Blas, Mann, blas!» Ein Häufchen Schwarzer in Samstagabendanzügen sorgten vor dem Laden für Stimmung. Es war eine billige Kneipe mit Sägemehl auf dem Fußboden und einem winzigen Musikpodium, auf dem die Typen mit ihren Hüten auf dem Kopf vor den Leuten standen und jazzten, ein toller Laden, verrückte, aus dem Leim gegangene Frauen streiften herum, einige in Bademänteln, Flaschen klirrten in den Durchgängen. Im Hintergrund, in einem dunklen Flur vor den schmutzigen Klosetts, lehnten Scharen

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