Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
Vom Netzwerk:
Nebelhorn-Blues, den die Jungs bliesen, ohne ihn zu beachten. Der große stiernackige Neger-Drummer saß und wartete, bis er wieder einsteigen konnte. «Was macht der Mann da?», sagte er. «Ist das Musik?», sagte er. «Zum Teufel!», sagte er. «Scheiße!», und er blickte angewidert weg.
    Der Fahrer unseres Altsaxophonisten war gekommen, ein kleiner drahtiger Schwarzer mit einem großen Cadillac. Wir stiegen ein. Der Typ saß am Steuer und jagte den Wagen mit einhundertzehn quer durch Frisco, ohne ein einziges Mal zu bremsen, mitten durch den Verkehr, und so gekonnt, dass keiner von uns was merkte. Dean war in Ekstase. «Was für ein Typ. Sieh nur, Mann, wie er da sitzt und keinen Knochen rührt und die Karre laufen lässt und dabei reden könnte, die ganze Nacht, nur dass er keine Lust hat zu reden und schweigt, Sachen gibt’s, Mann, ich könnte – ich wünschte – ja, los! Gib Gas, lass es laufen! Ja!» Und der Typ nahm die Ecke, ohne zu bremsen, und rollte uns direkt vor Jamson’s Nook und parkte auch schon. Ein Taxi hielt, ein dünner, dürrer, schwarzer Prediger sprang heraus und warf dem Fahrer einen Dollarschein hin, schrie «Blow!» und stürmte in den Club und durch die Bar im Erdgeschoss – «Blowblowblow» – und taumelte die Treppe hinauf und fiel beinah auf die Nase und stieß die Tür auf und platzte kopfüber in die Jamsession, die da im Gange war, die Hände vorgestreckt für den Fall, dass er stolperte, und tatsächlich stolperte er über Lampshade, der in dieser Saison in Jamson’s Nook als Kellner arbeitete, und während der Bebop dröhnte und schrillte, blieb er wie angewurzelt in der Tür stehen und schrie: «Los, spiel für mich, Mann, blas, blow!» Und der Mann, den er meinte, war ein kleiner, zierlicher Neger mit einem Altsaxophon, der, so sagte Dean, offenbar bei seiner Großmutter lebte, wie Tom Snark, und die Tage verschlief und die ganze Nacht durch in den Kneipen jazzte und erst einmal hundert Chorusse blasen musste, bevor er richtig aufdrehte. Und genau das tat er jetzt gerade.
    «Genau wie Carlo Marx!», schrie Dean über den Lärm hinweg.
    Und so war es. Das Großmuttersöhnchen, der Junge mit dem von Klebeband zusammengehaltenen Alt-Sax, hatte schimmernde Perlenaugen, spindeldürre Beine und kleine, einwärts gedrehte Füße, und er hopste und hüpfte mit seinem Horn herum und warf die Füße in die Luft, hielt die Augen auf das Publikum gerichtet (nur ein paar lachende Leute an einem Dutzend Tische, in einem zehn mal zehn Meter großen Raum, mit einer niedrigen Decke) und machte nie eine Pause. Er war sehr einfach in seinen Ideen. Er überraschte gern mit einer neuen, ganz einfachen Variation des Chorus. «Ta-tap-tada-rara-ta-tap-tader-rara», fing er an und hopste dazu und küsste und lächelte in sein Horn und ging zu einem «Ta-tap-iiih-da-di-dira-RAP! Ta-tap-iiih-da-di-dira-RAP!» über, und das waren jedes Mal große Momente, Lachen und Verstehen zwischen ihm und allen, die es hörten. Sein Ton war glockenklar, hell, rein und wehte uns aus einem Meter Abstand ins Gesicht. Dean stand vor ihm, er hatte die Welt vergessen, er wippte mit dem Kopf und schlug die Hände ineinander und zuckte am ganzen Körper, von den Fersen aufwärts, während der Schweiß ihm in Bächen über den gemarterten Kragen floss und sich buchstäblich in einer Pfütze zu seinen Füßen sammelte. Auch Galatea und Marie waren da, und es dauerte fünf Minuten, bis wir es überhaupt merkten. Oh, diese Nächte von San Francisco, am Ende des Kontinents und am Ende des Zweifelns, allen dumpfen Zweifelns und aller Albernheiten, goodby. Lampshade rauschte mit seinem Tablett voller Biergläser herum, jede Bewegung im Rhythmus mit der Musik, und im Rhythmus rief er den Kellnerinnen zu: «He, Baby-Baby, Platz da, Platz gemacht, Lampshade ist da, lasst ihn vorbei!», und er balancierte das Tablett über ihre Köpfe hinweg und raste durch die Pendeltür in die Küche und tanzte mit den Köchinnen und kam schwitzend zurück. Der Tenorsaxophonist saß völlig regungslos an einem Ecktisch vor seinem unberührten Drink und starrte mit schmalen Augen ins Leere und ließ die Hände schlaff herunterhängen, dass sie fast den Boden berührten, die Füße weit von sich gereckt, wie zwei herausgestreckte Zungen, der Körper zusammengesunken in völliger Erschöpfung und verzücktem Leid, was immer ihm auf der Seele brannte: ein Mann, der jeden Abend das Letzte gab und es anderen überließ, ihm in der Nacht den Rest zu

Weitere Kostenlose Bücher