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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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hatte mir anvertraut, dass ihre Nase zu lang sei – sein großer Vorbehalt gegen sie, aus irgendwelchen unerforschlichen Gründen –, aber ihre Nase war gar nicht so lang. Roy Johnson ist ein schmaler, dunkler, gutaussehender Junge mit messerscharfen Gesichtszügen und straff gekämmtem Haar, das er sich dauernd aus den Schläfen streicht. Er hatte eine äußerst ernste Einstellung zum Leben und ein großes offenes Lächeln. Anscheinend hatte Dorothy, seine Frau, ihm Vorwürfe gemacht, dass er für uns den Chauffeur spielen wollte – aber Roy, entschlossen, sich als Herr des Hauses zu behaupten (sie hausten in einem kleinen Zimmer), wollte trotzdem sein Versprechen halten, was Folgen hatte; sein seelisches Dilemma löste sich auf in bitterem Schweigen. Er fuhr Dean und mich Tag und Nacht in Frisco umher, und nie sagte er ein Wort; nur dass er dauernd rote Ampeln überfuhr und die Kurven auf zwei Rädern kratzte, was uns verriet, welchem Stress wir ihn aussetzten. Er stand zwischen den Ansprüchen seiner jungen Frau und den Ansprüchen, die Dean als sein ehemaliger Anführer der Billardhallen-Clique in Denver erhob. Dean war begeistert, und natürlich fand er nichts auszusetzen an seiner Fahrweise. Wir beachteten Roy gar nicht und saßen hinten im Auto und quatschten.
    Zunächst fuhren wir nach Mill City und suchten Remi Boncœur. Verwundert stellte ich fest, dass die Admiral Freebee , der alte Dampfer, nicht mehr in der Bay vor Anker lag; und Remy wohnte natürlich nicht mehr im vorletzten Abteil der Baracke im Canyon. Eine wunderschöne Schwarze öffnete stattdessen die Tür; Dean und ich redeten lange auf sie ein. Roy Johnson wartete unterdessen im Wagen und las Eugene Sues Mysteries of Paris . Ich warf einen letzten Blick auf Mill City und wusste, dass es ein sinnloses Unterfangen war, die komplizierte Vergangenheit heraufzubeschwören; stattdessen beschlossen wir, Galatea Dunkel zu besuchen und sie zu fragen, ob wir bei ihr übernachten könnten. Ed hatte sie abermals verlassen, er lebte in Denver, und ganz bestimmt klügelte sie wieder Pläne aus, wie sie ihn zurückholen konnte. Wir fanden sie in ihrer Vierzimmerwohnung in einem Mietshaus in der Mission Street, wo sie mit untergeschlagenen Beinen auf einem falschen Orientteppich saß und Schicksalskarten legte. Tapferes Mädchen. Ich entdeckte traurige Zeichen dafür, dass Ed Dunkel hier eine Weile gewohnt hatte und dann nur aus Stumpfsinn und Lustlosigkeit fortgegangen war.
    «Er kommt wieder», sagte Galatea. «Der Junge kann ohne mich nicht leben.» Sie funkelte Dean und Roy Johnson wütend an. «Diesmal war Tommy Snark der Übeltäter. Ed war total glücklich, bevor er auftauchte, er arbeitete, und abends gingen wir aus und hatten viel Spaß zusammen. Dean, du weißt das doch. Dann saßen die beiden stundenlang im Bad zusammen, Ed in der Wanne und Snark auf dem Klositz, und redeten, redeten, redeten – lauter dummes Zeug.»
    Dean lachte. Jahrelang war er der Oberprophet der Clique gewesen, und jetzt lernten sie langsam seine Methoden. Tommy Snark hatte sich einen Bart wachsen lassen, mit seinen traurigen blauen Augen war er nach Frisco gekommen und hatte nach Ed Dunkel gesucht; was passiert war (tatsächlich und ungelogen): Tommy hatte bei einem Unfall in Denver den kleinen Finger verloren und hatte ein schönes Schmerzensgeld kassiert. Aus unerfindlichen Gründen beschlossen die beiden, Galatea abzuhängen und nach Portland, Maine, zu gehen, wo Snark anscheinend eine Tante hatte. Sie waren jetzt also entweder auf der Durchreise in Denver oder schon in Portland.
    «Wenn Tommys Geld zu Ende ist, kommt Ed zurück», sagte Galatea mit einem Blick auf die Karten. «Dummer Kerl – er versteht nichts und hat noch nie was verstanden. Dabei braucht er doch nur zu wissen, dass ich ihn liebe.»
    Galatea, wie sie dort auf dem Teppich saß, mit ihrem bis auf den Boden fließenden langen Haar und den Schicksalskarten vor sich, erinnerte mich an die Tochter der Griechen mit dem Fotoapparat in der Sonne. Sie wurde mir immer sympathischer. Wir beschlossen sogar, am Abend zusammen auszugehen und Jazz zu hören, Dean mit Marie, einer über eins achtzig großen Blonden, die in der Nachbarschaft wohnte.
    Am Abend gingen wir, Galatea, Dean und ich, zu Marie. Sie lebte in einer Kellerwohnung, hatte eine kleine Tochter und ein altes Auto, das selten ansprang und das Dean und ich auf der Straße anschieben mussten, während die Mädchen auf den Anlasser drückten. Wir fuhren

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