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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Mikrophon und sprang vom Podium herunter, schmal und gebückt. Er beugte sich ganz tief über das Mikrophon, setzte ganz leise an, zog dann die Stimme hoch, zog auch das Mikro immer höher, und er verausgabte sich so sehr, dass er taumelte und sich gerade noch rechtzeitig fangen konnte, um den nächsten, langen langsamen Ton zu hauchen: «Mu-u-u-usic pla-a-a-a-a-a-ay!» Er warf den Kopf zurück und blickte zur Decke hinauf und zog das Mikrophon unters Kinn. Er bebte, er schwankte. Dann ein Ruck nach vorn, und er fiel beinah auf das Mikro. «Ma-a-a-ake it dream-y for dan-cing» – und er blickte hinaus auf die Straße, mit einem spöttischen Lächeln wie Billie Holiday – «while we go roman-n-n-cing» – und wankte seitwärts – «Lo-o-o-ove’s Holida-a-ay» – und schüttelte den Kopf, angewidert von der Welt, überdrüssig – «Will make it seem» – ja, was, was, was? Alle hielten den Atem an, und er stöhnte: «O-kay.» Aus dem Klavier klirrte ein Akkord. «So baby come on just clo-o-o-ose your pretty little ey-y-y-y-yes» – seine Lippen bebten, er sah uns an, Dean und mich, und sein Gesicht schien zu sagen: He, was ist das, was machen wir denn alle hier in dieser traurigen grauen Welt? –, und dann kam das Ende des Songs, und dafür mussten sorgfältige Vorbereitungen getroffen werden, man hätte derweil alle Botschaften an Garcia zwölfmal rund um die Welt schicken können, und was machte das auch, ging es doch hier um die Höhen und Tiefen des armen geschlagenen Lebens auf den grausamen Straßen der Menschen, so sagte er und sang er, «Close – your –», und dann brach es aus ihm heraus und schwebte hinauf zu den Sternen und immer weiter – «Ey-y-y-y-y-es» –, und er schwankte fort vom Podium und verfiel in stummes Brüten. Jetzt saß er mit ein paar Jungen in einer Ecke, beachtete aber keinen. Er ließ den Kopf hängen und weinte. Er war der Größte.
    Dean und ich gingen hin und wollten mit ihm reden. Wir luden ihn ein, mit uns hinaus in den Wagen zu kommen. Draußen im Auto rief er plötzlich: «Ja! Nichts besser als richtiger Spaß! Wohin fahren wir?» Dean hüpfte vor Ungeduld auf und ab und kicherte wie ein Verrückter. «Später! Später», sagte der Mann. «Ich will meinen Jungen holen, er soll uns zu Jamson’s Nook fahren, ich muss singen. Das Singen, Mann, ist mein Leben. ‹Close Your Eyes› singe ich schon zwei Wochen lang – ich will nie mehr was anderes singen. Und, Leute, was habt ihr so vor?» Wir sagten, dass wir in zwei Tagen nach New York wollten. «O Gott, ich bin noch nie dort gewesen, soll eine aufregende Stadt sein, wie ich höre, aber hier kann ich auch nicht klagen. Bin verheiratet, müsst ihr wissen.»
    «O ja?», sagte Dean, und sein Gesicht leuchtete auf. «Und wo ist der Schatz heute Abend?»
    «Wie meinen Sie das?», sagte der Musiker und musterte Dean aus dem Augenwinkel. «Ich habe gesagt, dass ich verheiratet bin, nicht wahr?»
    «O ja, o ja», sagte Dean. «War nur so eine Frage. Ist sie mit Freundinnen zusammen? Mit Schwestern? Eine Party … wissen Sie, ich hätte Lust auf eine Party.»
    «Ah, Partys, was soll’s, das Leben ist viel zu traurig, um dauernd tanzen zu gehen», sagte der Mann und schaute hinaus auf die Straße. «Scheiße», sagte er. «Ich hab kein Geld, und heute Abend ist mir alles scheißegal.»
    Wir gingen wieder hinein, um noch etwas Musik zu hören. Die Mädchen waren sauer auf uns, weil Dean und ich dauernd verschwanden; sie waren zu Fuß zu Jamson’s Nook gelaufen; der Wagen sprang sowieso nicht an. In der Bar bot sich uns ein schreckliches Bild: ein schwuler Hipster, ein Weißer in buntem Hawaii-Hemd, war in den Laden gekommen und hatte den dicken Drummer gefragt, ob er einsteigen und mitspielen dürfe. Die Musiker schauten ihn misstrauisch an. «Kannst du spielen?» Ja, sagte er affektiert. Sie sahen einander an und meinten: «Na, wenn der Typ es sagt, Scheiße!» Der Schwule setzte sich an die Schießbude, und sie starteten im Rhythmus einer schnellen, heißen Nummer, und er strich mit den Bebop-Besen sanft über die Snares, sein Kopf pendelte hin und her – in jener selbstgefälligen, von Reich analysierten Ekstase, die gar nichts besagt, außer dass jemand zu viel Gras und Downers intus hat und einen auf cool machen will. Aber ihm war alles schnuppe. Er grinste fröhlich ins Leere und hielt den Rhythmus, wenn auch sehr sanft, mit Bop-Synkopen und Wirbeln, eine hektische kichernde Begleitung zu dem lauten, wuchtigen

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