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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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warte.»
    «Ja», sagte Dean und rückte seine Sonnenbrille zurecht. «Ich warte. Alles klar, Victor, mein Freund.»
    Jetzt kam Victors hochgewachsener Bruder herübergeschlendert und brachte ein Häufchen Kraut auf einer Zeitungsseite. Er warf es Victor auf den Schoß und lehnte sich lässig an die Wagentür, nickte und sagte lächelnd: «Hallo.» Dean nickte ebenfalls und lächelte freundlich zurück. Niemand sagte ein Wort; alles war in Ordnung. Victor machte sich daran, die dickste Bombe zu basteln, die ich je gesehen habe. Er rollte (mit Hilfe braunen Packpapiers) so etwas wie eine gewaltige Corona-Zigarre aus Gras. Ein riesiges Ding. Dean starrte darauf, ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf. Lässig zündete Victor das Ding an und reichte es herum. Ein Zug daran, und es war, als ob man sich über einen Schornstein beugte und inhalierte. Wie ein mächtiger Hitzeschwall knallte es einem in die Lunge. Wir hielten die Luft an und atmeten alle gleichzeitig aus. Sofort waren wir high. Der Schweiß gefror uns auf der Stirn, und es war plötzlich wie am Strand von Acapulco. Ich drehte mich um und blickte durchs Rückfenster, und ein anderer von Victors Brüdern, der sonderbarste – ein wahrer Inka von einem Indianer mit einer Schärpe über der Schulter –, lehnte grinsend an einem Pfosten, zu schüchtern, um rüberzukommen und uns die Hand zu schütteln. Das Auto, so schien es, war von Brüdern umzingelt, denn ein weiterer tauchte jetzt an Deans Seite auf. Dann passierte etwas äußerst Seltsames. Wir alle wurden so high, dass wir die üblichen Höflichkeiten vergaßen und uns nur noch auf die Dinge von unmittelbarem Interesse konzentrierten, nämlich die sonderbare Situation, dass Amerikaner und Mexikaner hier in der Wüste zusammen einen Joint durchzogen, und, was noch sonderbarer war, dass man alles wie aus nächster Nähe sah, die Gesichter, die Poren der Haut, die Schwielen an den Fingern, und diese verlegenen, breiten Gesichter einer anderen Welt. Und so begannen die indianischen Brüder leise über uns zu sprechen und tauschten ihre Meinungen aus; man konnte sehen, wie sie herüberschielten, uns abschätzten, ihre Eindrücke verglichen, einander berichtigten, verbesserten, «Si, si», während wir drei uns auf Englisch über sie austauschten.
    «Sieh ihn dir an, diesen unheimlichen Bruder dahinten, er hat sich nicht wegbewegt von seinem Pfosten, und die Intensität der fröhlichen, komischen Schüchternheit seines Lächelns hat sich nicht um einen Deut vermindert. Und der andere, links neben mir, er ist älter, selbstbewusster, aber traurig, als wäre er ein bisschen zurückgeblieben, vielleicht gammelt er sogar in der Stadt herum, während Victor achtbar verheiratet ist – ja, verdammt, wie ein ägyptischer König, das siehst du gleich. Mann, sind das Typen ! So etwas habe ich noch nie gesehen. Merkst du, wie sie tuscheln und uns anstaunen? Genau wie wir, nur mit dem Unterschied, dass ihre Neugierde wahrscheinlich unserer Kleidung gilt – geht uns im Grunde genauso – und den sonderbaren Sachen, die wir im Auto haben, und dazu der fremden Art, wie wir lachen, und vielleicht sogar, wie wir riechen, im Vergleich zu ihnen. Trotzdem, ich würde mein Auge hergeben, um zu erfahren, was sie über uns sagen.» Und Dean versuchte es: «He, Victor, Mann – was hat dein Bruder da gerade gesagt?»
    Victor richtete seine verschleierten, traurigen braunen Augen auf Dean. «Ja, ja.»
    «Nein, du hast meine Frage nicht verstanden. Was redet ihr eigentlich über uns?»
    «Oh», sagte Victor besorgt, «ist nicht gut Mari-gwana?»
    «Ja, doch, sehr gut! Was sprecht ihr da?»
    «Sprechen? O ja, wir sprechen. Wie gefällt dir Mexiko?» Es war schwer, ohne gemeinsame Sprache ins Gespräch zu kommen. Alle wurden wieder still und cool und high und genossen einfach nur die Wüstenbrise, und ein jeder hing seinen eigenen, von seinem Land, seiner Rasse, seiner Person geprägten Ewigkeitsgedanken nach.
    Es war Zeit für die Mädchen. Die Brüder verzogen sich wieder unter ihren Baum, die Mutter stand vor der Tür in der Sonne und sah herüber, und wir holperten langsam zurück in die Stadt.
    Jetzt jedoch war das Holpern nicht mehr unangenehm; es war die angenehmste und anmutigste Schaukelei von der Welt, wie über blaue Meereswellen, und Deans Gesicht war von unnatürlichem Glanz – wie purem Gold – übergossen, als er uns aufforderte, wir sollten doch endlich die Federung des Wagens richtig begreifen und die Fahrt genießen.

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