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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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er sich zurück und erzählte Geschichten. «Du hättest vor zwei Monaten hier sein sollen, als ich und Sledge» (das war ein anderer Cop, ein junger Kerl, der Texas-Ranger werden wollte und sich mit seinem gegenwärtigen Los begnügen musste) «einen Besoffenen in Baracke G. verhaftet haben. Mann, du hättest das Blut spritzen sehen sollen. Komm mit rüber heute Abend, ich zeige dir die Flecken an der Wand. Wir ließen den Kerl von einer Wand zur anderen fliegen. Erst hat Sledge ihn geschlagen, dann ich, und dann gab er auf und wurde ganz leise. Der Kerl hat geschworen, uns umzubringen, wenn er aus dem Gefängnis kommt – hat dreißig Tage gekriegt. Inzwischen ist das sechzig Tage her, und er hat sich nicht blickenlassen.» Das war die große Pointe der Geschichte. Sie hatten ihm solche Furcht eingebläut, dass er sich nicht traute, zurückzukommen und sie umzulegen.
    Und weiter schwelgte der alte Cop in süßen Erinnerungen an die Schrecken von Alcatraz. «Wir ließen sie wie Rekruten zum Frühstück marschieren. Keiner fiel aus dem Tritt. Klappte alles wie am Schnürchen. Hättest du sehen sollen. Da war ich zweiundzwanzig Jahre lang Wärter. Nie Probleme gehabt. Die Burschen wussten, dass wir’s ernst meinten. Viele Männer werden weich, wenn sie Häftlinge bewachen, und das sind die, die oft Schwierigkeiten kriegen. Du zum Beispiel – ich hab dich beobachtet, du bist ein bisschen zu nachgiebig mit den Leuten.» Er fuchtelte mit seiner Pfeife herum und sah mich scharf an. «Die nützen das aus, weißt du.»
    Ich wusste es. Ich sagte ihm, ich sei nicht aus dem Holz, aus dem man Polizisten schnitzt.
    «Ja, aber das ist der Job, um den du dich beworben hast. Jetzt musst du dich entscheiden, so oder so, sonst wirst du nie etwas erreichen. Es ist deine Pflicht. Du bist vereidigt. In solchen Dingen kannst du keine Kompromisse machen. Gesetz und Ordnung müssen aufrechterhalten werden.»
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte; er hatte recht. Am liebsten hätte ich mich davongeschlichen in die Nacht, um loszugehen und herauszufinden, was all die Menschen taten in diesem großen Land.
    Der andere Cop, Sledge, war groß und muskulös, schwarzhaarig, mit Bürstenschnitt und mit einem nervösen Zucken im Hals – wie ein Boxer, der dauernd die Fäuste gegeneinander schlägt. Zum Dienst takelte er sich auf wie ein Texas-Ranger alter Zeiten. Er trug einen Revolver tief an der Hüfte, mit Patronengürtel, schleppte eine kleine Reitpeitsche mit sich rum und war überall mit Leder behängt, wie eine wandelnde Folterkammer, gewichste Schuhe, weit herabhängendes Jackett, verwegener Hut, alles, bis auf Reitstiefel. Er wollte mir dauernd Kampfgriffe zeigen – er packte mich zwischen den Beinen und hob mich mühelos hoch. Was reine Körperkraft betrifft, hätte ich ihn mit dem gleichen Griff bis an die Decke hochgeworfen, das wusste ich, aber ich ließ es ihn nicht merken, aus Angst, er würde mich zum Ringkampf auffordern. Ein Ringkampf mit einem solchen Typ konnte nur in eine Schießerei münden. Und ich bin mir sicher, er war der bessere Schütze, ich hatte nie im Leben einen Revolver gehabt. Schon das Laden machte mir Angst. Er war ganz wild darauf, Leute zu verhaften. Eines Nachts waren wir allein im Dienst, und er kam mit zornrotem Gesicht zurück.
    «Ich habe den Kerlen da drüben gesagt, sie sollen leise sein, und immer noch machen sie Krach. Ich hab es ihnen zweimal gesagt. Ich gebe einem Mann immer zwei Chancen. Niemals drei. Du kommst jetzt mit, und ich werde hingehen und sie verhaften.»
    «Na, dann lass mich denen mal eine dritte Chance geben», sagte ich. «Ich werde mit ihnen reden.»
    «No, Sir, ich habe nie einem Mann mehr als zwei Chancen gegeben.» Ich seufzte. Das war’s also. Wir marschierten zu der unbotmäßigen Baracke, und Sledge riss die Tür auf und befahl, alle sollten raustreten. Es war peinlich. Jeder von uns wurde rot vor Scham. Das ist die Geschichte Amerikas. Jeder tut, was er glaubt tun zu müssen. Was macht es schon, wenn ein paar Männer in der Nacht mit lauter Stimme reden und trinken? Sledge aber wollte etwas beweisen. Sicherheitshalber hatte er mich mitgenommen, für den Fall, dass sie über ihn herfielen. Sie hätten es tun können. Es waren lauter Brüder, alle aus Alabama. Langsam gingen wir zur Wache zurück. Sledge vorneweg, ich hinterher.
    Einer der Jungs sagte zu mir: «Sag diesem Arsch mit Ohren, er soll uns laufenlassen. Wir könnten deswegen gefeuert werden, und dann kommen wir

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