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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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nie nach Okinawa.»
    «Ich spreche mit ihm.»
    Auf der Wache sagte ich zu Sledge, er solle die Sache einfach vergessen. Er lief rot an und sagte so laut, dass alle es hörten: «Ich gebe keinem mehr als zwei Chancen.»
    «Zum Teufel», sagte der Mann aus Alabama, «was soll das Ganze? Wir können unsern Job verlieren.» Sledge sagte nichts und füllte die Arrestformulare aus. Er verhaftete nur einen von ihnen; er rief den Streifenwagen aus der Stadt. Sie kamen und nahmen den Mann mit. Die anderen Brüder zogen mit finsteren Mienen ab. «Was wird Ma dazu sagen?», sagten sie. Einer kam noch einmal zu mir. «Sag diesem Texas-Affen, falls mein Bruder nicht bis morgen Abend aus dem Knast raus ist, kann er sich den Arsch zusammennähen lassen.» Ich sagte es Sledge, in neutralen Worten, und er sagte nichts. Der Bruder wurde freigelassen und nichts passierte. Das ganze Kontingent segelte ab, und eine neue wilde Horde kam. Wäre Remi Boncœur nicht gewesen, ich hätte diesen Job keine zwei Stunden behalten.
    Aber Remi Boncœur und ich waren manche Nacht allein im Dienst, und dann lief alles wie geschmiert. Gemächlich drehten wir unsere erste Abendrunde, und Remi probierte an allen Türen, ob sie verschlossen waren, immer in der Hoffnung, eine offene zu finden. Er sagte jedes Mal: «Seit Jahren habe ich die Idee, einen Hund zum Superdieb zu dressieren, sodass er in die Zimmer der Kerle läuft und ihnen die Dollars aus den Taschen holt. Ich würd ihn so abrichten, dass er nur Scheine nimmt. Ich würde sie ihn den ganzen Tag schnuppern lassen. Wenn das menschenmöglich wäre, würde ich ihn so dressieren, dass er nur Zwanziger schnappt.» Remi hatte dauernd die verrücktesten Projekte; wochenlang redete er jetzt von diesem Hund. Nur einmal fand er eine Tür, die nicht verschlossen war. Mir gefiel die Sache nicht, darum schlenderte ich langsam weiter durch den Flur. Remi drückte verstohlen die Tür auf und starrte dem Hausmeister der Kaserne ins Gesicht. Remi hasste die Visage des Mannes. Einmal hatte er mich gefragt: «Wie heißt doch der russische Schriftsteller, von dem du immer redest – der Typ, der sich die Zeitungen in die Schuhe stopfte und mit einem Ofenrohr, das er auf der Müllkippe gefunden hatte, als Zylinder herumlief?» Es war eine übertriebene Version dessen, was ich Remi von Dostojewski erzählt hatte. «Ah, das ist er – das ist er – Dostioffski. Ein Mann mit einer Fresse wie dieser Hausmeister kann nur Dostioffski heißen.» Die einzige unverschlossene Tür, die Remi je entdeckte, gehörte also Dostioffski. D. schlief gerade, als er jemanden seinen Türknauf leise drehen hörte. Er stand auf, kam im Schlafanzug an die Tür und sah doppelt so hässlich aus wie sonst. Als Remi die Tür aufdrückte, blickte er in ein verstörtes Gesicht, triefend vor Hass und dumpfer Wut.
    «Was soll das heißen?»
    «Ich wollte nur die Tür probieren. Ich dachte, es ist die – äh – Besenkammer. Ich suche einen Mopp.»
    «Was soll das heißen , du suchst einen Mopp?»
    «Hm – äh.»
    Ich trat vor und sagte: «Einer der Männer hat oben den Flur vollgekotzt. Wir müssen es aufwischen.»
    «Dies ist nicht die Besenkammer. Dies ist mein Zimmer. Wenn so was nochmal vorkommt, zeig ich euch beide an, und ihr fliegt raus. Habt ihr mich verstanden?»
    «Einer der Kerle hat oben gekotzt», sagte ich.
    «Die Besenkammer ist dort unten.» Er deutete mit der Hand den Flur hinunter und wartete, bis wir uns einen Mopp holten, was wir auch taten. Mit dummen Gesichtern gingen wir nach oben.
    «Gottverdammt», sagte ich zu Remi, «du bringst uns immer in Schwierigkeiten. Kannst du das denn nicht lassen? Warum musst du dauernd stehlen?»
    «Die Welt schuldet mir ein paar Kleinigkeiten, das ist alles. Du kannst dem alten Maestro keine neue Melodie beibringen. Rede nur weiter so, dann werde ich anfangen, dich Dostioffski zu nennen.»
    Remi war wie ein Kind. Irgendwann in seiner Vergangenheit, in seinen einsamen Schuljahren in Frankreich, hatte man ihm alles genommen. Seine Stiefeltern steckten ihn kurzerhand ins Internat und überließen ihn seinem Schicksal. Er war unglücklich und flog aus einer Schule nach der anderen. Er tippelte nachts über die Straßen Frankreichs und dachte sich Flüche aus mit seinem unschuldigen Wortschatz. Jetzt wollte er sich alles zurückholen, was er verloren hatte, und sein Verlust war unendlich; also würde es bis in alle Ewigkeit so weitergehen.
    Die Kasernenkantine war unsere Nahrungsquelle. Wir

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