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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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verlassen.
    Remi verzog den Mund. «Wo willst du denn hin?»
    «Zu Jimmy.»
    « Jimmy? Ein Kassierer von der Rennbahn? Hast du das gehört, Sal? Lee Ann will abhauen und sich einem Kassierer vom Rennplatz an den Hals werfen. Pass nur auf, und nimm deinen Besen mit, Schatz, die Pferde werden in diesen Tagen eine Menge Hafer fressen dank meinem Hundert-Dollar-Schein.»
    Die Dinge gerieten immer mehr aus dem Gleis, und der Regen prasselte. Ursprünglich hatte Lee Ann in der Bude gewohnt, also befahl sie Remi, seine Sachen zu packen und auszuziehen. Er fing an zu packen. Ich malte mir aus, wie es wäre: ich ganz allein in der regennassen Hütte mit dieser widerspenstigen Hexe. Ich versuchte mich einzumischen. Remi gab Lee Ann einen Schubs. Sie hechtete nach dem Revolver. Remi gab mir die Kanone und bat mich, sie zu verstecken; im Magazin steckten acht Patronen. Lee Ann fing an zu kreischen und zog schließlich ihren Regenmantel an und stampfte hinaus in den Matsch, um einen Cop zu holen – und wen am Ende? Ausgerechnet unseren alten Freund Alcatraz! Zum Glück war er nicht zu Hause. Klatschnass kam sie wieder. Ich verbarg mich in meiner Ecke, den Kopf zwischen den Knien. Herrgott, was hatte ich hier verloren, fünftausend Kilometer fort von zu Hause. Warum war ich hierhergekommen? Wo war mein ‹Slow Boat to China›?
    «Und noch was, du Dreckskerl», kreischte Lee Ann. «Das war heute Abend das letzte Mal, dass ich dir dein dreckiges Kalbshirn mit Eiern mache, dein dreckiges Curry-Lamm, nur damit du dir deinen dreckigen Ranzen vollschlägst und vor meinen Augen frech und fett wirst.»
    «In Ordnung», sagte Remi nur leise. «Ist völlig in Ordnung. Als ich mich mit dir eingelassen hab, hab ich nicht Rosen und Mondschein erwartet, und jetzt bin ich nicht einmal überrascht. Ich habe versucht, dir was Gutes zu tun – ich hab mein Bestes gegeben, für euch beide, und beide lasst ihr mich im Stich. Ich bin furchtbar, furchtbar enttäuscht von euch beiden», fuhr er in absoluter Aufrichtigkeit fort. «Ich hatte gedacht, wir würden gemeinsam was auf die Beine stellen, etwas Gutes und Dauerhaftes, ich hab’s versucht, ich bin nach Hollywood geflogen, ich hab Sal einen Job besorgt, ich hab dir schöne Kleider gekauft, und ich habe versucht, dich den besten Leuten in San Francisco vorzustellen. Du warst nicht bereit, ihr beide wart nicht bereit, mir den kleinsten Wunsch zu erfüllen, den ich hatte. Ich habe keine Belohnung verlangt. Jetzt bitte ich euch nur um einen letzten Gefallen, und dann will ich euch auch nie mehr um irgendetwas bitten. Mein Stiefvater kommt am Samstag Abend nach San Francisco. Ich bitte euch nur, dass ihr mitkommt und so zu tun versucht, als ob alles noch so wäre, wie ich es ihm geschildert habe. Mit anderen Worten, du, Lee Ann, bist mein Mädchen, und du, Sal, bist mein Freund. Ich hab’s geschafft, mir für Samstag Abend hundert Dollar zu borgen. Ich möchte gern, dass mein Vater ein paar schöne Stunden hat und wegfahren kann, ohne sich Sorgen um mich zu machen.»
    Das überraschte mich. Remis Stiefvater war ein berühmter Arzt, der in Wien, Paris und London praktiziert hatte. Ich sagte: «Willst du mir damit sagen, dass du einhundert Dollar für deinen Stiefvater ausgeben willst? Er hat mehr Geld, als du je haben wirst! Mann, du hast Schulden gemacht!»
    «Ist schon in Ordnung», sagte Remi leise und mit niedergeschlagener Stimme. «Ich bitte euch nur um dieses eine und Letzte – dass ihr zumindest versucht , so zu tun, als wäre noch alles in Ordnung, und dass ihr versucht , einen guten Eindruck zu machen. Ich liebe meinen Stiefvater, und ich habe Respekt vor ihm. Er kommt mit seiner jungen Frau. Wir müssen ihm alle Ehre erweisen.» Es gab Zeiten, da war Remi wirklich der wohlerzogenste Mensch in der Welt. Lee Ann war beeindruckt und freute sich darauf, seinen Stiefvater kennenzulernen; womöglich dachte sie, er könnte ein guter Fang sein, wenn es sein Sohn schon nicht war.
    Der Samstagabend rollte heran. Ich hatte meinen Job bei den Cops bereits selber gekündigt, bevor ich gefeuert wurde, weil ich nicht genügend Verhaftungen vornahm, und dies sollte mein letzter Samstagabend sein. Im Hotel ging Remi zuerst mit Lee Ann zu seinem Vater ins Zimmer hinauf; ich hatte Reisegeld in der Tasche und trank mir unten in der Bar einen an. Dann ging ich zu ihnen rauf, reichlich verspätet. Sein Vater öffnete mir die Zimmertür, ein vornehmer hochgewachsener Herr mit Pincenez. «Ah», sagte ich, als

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