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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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ich ihn erblickte. «Monsieur Boncœur, wie geht’s? Je suis haut! », schrie ich, was auf Französisch heißen sollte: «Ich bin high, ich habe getrunken», was aber auf Französisch überhaupt keinen Sinn macht. Der Doktor war perplex. Schon hatte ich Remi den Abend vermasselt. Er errötete für mich.
    Zum Essen gingen wir in ein protziges Restaurant – Alfred’s in North Beach, wo der arme Remi gut fünfzig Dollar für uns fünf ausgab, mit Drinks und allem. Und nun kam das Schlimmste. Wer ausgerechnet musste bei Alfred’s an der Bar sitzen? Mein alter Freund Roland Major. Er war gerade aus Denver gekommen und arbeitete bei einer Zeitung in San Francisco. Er war beschwipst. Er war nicht einmal rasiert. Er kam rübergelaufen und klatschte mir auf den Rücken, als ich gerade einen Highball an die Lippen hob. Er quetschte sich neben Dr.   Boncœur auf die Bank und redete über die Suppe des Mannes hinweg auf mich ein. Remi war krebsrot.
    «Möchtest du nicht deinen Freund vorstellen, Sal?», fragte er mit mattem Lächeln.
    «Roland Major vom San Francisco Argus », versuchte ich mit ungerührtem Gesicht zu sagen. Lee Ann funkelte mich wütend an.
    Major begann, Monsieur die Ohren vollzulabern. «Wie gefällt es Ihnen als Französischlehrer an der Highschool?», krähte er.
    «Entschuldigen Sie, aber ich bin kein Französischlehrer.»
    «Oh, ich dachte, Sie sind Französischlehrer.» Er gab sich alle Mühe, unhöflich zu sein. Ich erinnerte mich an den Abend in Denver, als er uns unsere Party untersagen wollte; aber ich hatte ihm verziehen.
    Ich verzieh allen, und ich gab auf und betrank mich. Ich fing an, mit der jungen Frau des Doktors zu flirten. Ich trank so viel, dass ich alle zwei Minuten zur Toilette musste, wozu ich jedes Mal über Dr.   Boncœurs Knie hinwegsteigen musste. Alles geriet in Auflösung. Mein Aufenthalt in San Francisco ging zu Ende. Remi würde nie wieder mit mir sprechen. Es war schrecklich, weil ich Remi wirklich sehr gern hatte und weil ich einer der sehr wenigen Menschen auf dieser Welt war, die wussten, was für ein echter und großartiger Kerl er war. Er würde Jahre brauchen, um darüber wegzukommen. Wie verheerend war das alles, verglichen mit dem, was ich ihm aus Paterson geschrieben hatte, als ich meine rote Linie auf der Route 6 quer durch Amerika plante. Hier war ich am Ende von Amerika – weiter ging es nicht –, und mir blieb nichts anderes, als zurückzukehren. Ich beschloss, wenigstens eine Rundreise zu machen: Hier und jetzt fasste ich den Entschluss, nach Hollywood zu fahren und zurück durch Texas, um meine Clique in den Mississippisümpfen wiederzusehen; alles andere sollte der Teufel holen.
    Major wurde bei Alfred’s hinausgeworfen. Das Dinner war sowieso vorbei, also ging ich mit ihm; das heißt, Remi machte mir den Vorschlag, und ich zog mit Major los, um zu trinken. Wir saßen an einem Tisch im Iron Pot, und Major sagte: «Sam, der Schwule da an der Bar gefällt mir nicht.» Dies mit lauter Stimme.
    «Yeah, Jake?», sagte ich.
    «Sam», sagte er, «ich glaube, ich werde aufstehen und ihm eine auf die Schnauze hauen.»
    «Nein, Jake», sagte ich, indem ich diese Hemingway-Imitation fortsetzte. «Ziele einfach von hier, und sieh zu, was passiert.» Wir landeten torkelnd an einer Straßenecke.
    Am andern Morgen, während Remi und Lee Ann noch schliefen und ich mit einer gewissen Traurigkeit auf den großen Haufen schmutziger Wäsche starrte, den Remi und ich eigentlich in der Bendix-Waschmaschine in der hintersten Baracke hatten waschen wollen (was immer eine so fröhliche, sonnige Angelegenheit gewesen war, inmitten all der schwarzen Frauen und während Mr.   Snow sich totlachte), beschloss ich zu gehen. Ich trat auf die Veranda hinaus. «Nein, verdammt», sagte ich mir, «ich hab mir fest vorgenommen, nicht zu gehen, ehe ich den Berg da oben bestiegen habe.» Es war die hohe Flanke des Canyons, die geheimnisvoll zum Pazifischen Ozean hinüberführte.
    Und so blieb ich noch einen weiteren Tag. Es war Sonntag. Eine gewaltige Hitzewelle senkte sich herab. Es war ein schöner Tag, und um drei Uhr färbte die Sonne sich rot. Ich stieg den Berg hinauf und erreichte um vier den Gipfel. Auf allen Seiten brüteten die lieblichen kalifornischen Cottonwoods und Eukalyptusbäume. Ein Stück vor dem Gipfel gab es keine Bäume mehr, nur noch Felsen und Gras. Kühe weideten auf dem Küstenplateau. Dort lag der Pazifik, nur ein paar niedrigere Hügelkuppen entfernt, blau und

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