Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
Vom Netzwerk:
unermesslich und mit einem mächtigen weißen Wall, der sich vom legendären «Potato Patch» näher wälzte, wo die Nebel von San Francisco geboren werden. Noch eine Stunde, und sie würden sich durch das Golden Gate hereindrängen, um die romantische Stadt in Weiß zu hüllen, und ein junger Mann würde sein Mädchen bei der Hand halten und langsam einen der endlosen weißen Bürgersteige mit ihr hinaufsteigen, eine Flasche Tokajer in der Jackentasche. Das war Frisco; und schöne Frauen stehen in weißen Hauseingängen und warten auf ihre Männer; und der Coit Tower und der Embarcadero und die Market Street und die elf wimmelnden Hügel.
    Ich drehte mich im Kreis, bis mir schwindlig wurde. Ich glaubte zu stürzen, wie im Traum, direkt in den Abgrund hinunter. Oh, wo ist das Mädchen, das ich liebe? dachte ich und schaute mich suchend um, so, wie ich überall in der kleinen Welt dort unten mich umgeschaut hatte. Und vor mir lag die große rohe Wölbung und Weite meines amerikanischen Kontinents; irgendwo weit, weit drüben das düstere verrückte New York, das seine Staubwolken und seinen braunen Qualm ausspuckte. Der Osten hat etwas Braunes und Heiliges an sich, und Kalifornien ist weiß wie Wäsche auf der Leine und leer im Kopf – so wenigstens dachte ich damals.

zwölf
    Am Morgen schliefen Remi und Lee Ann noch, während ich leise meine Sachen packte. Ich schlüpfte zum Fenster hinaus, genau so, wie ich gekommen war, und verließ Mill City mit meinem Seesack. Und nie hatte ich die Nacht auf dem alten Geisterschiff verbracht – auf der Admiral Freebee , so der Name –, und Remi und ich hatten einander verloren.
    In Oakland trank ich ein Bier zwischen den Landstreichern in einem Saloon mit einem Planwagenrad vor der Tür, und dann war ich wieder unterwegs. Ich ging zu Fuß quer durch Oakland, um zu der Straße nach Fresno zu kommen. Zwei Lifts brachten mich nach Bakersfield, sechshundertfünfzig Kilometer südwärts. Der Erste war eine verrückte Sache, mit einem vierschrötigen blonden Typ in einer heißfrisierten Kiste. «Siehst du die Zehe da?», sagte er, während er die Karre auf hundertdreißig Sachen brachte und jeden auf der Straße überholte. «Sieh dir das an.» Sie war mit Binden umwickelt. «Habe ich mir heute Morgen amputieren lassen. Die Blödmänner wollten, dass ich im Krankenhaus bleibe. Ich hab meinen Koffer gepackt und bin abgehauen. Eine Zehe, was ist das schon?» Allerdings, sagte ich mir, also pass jetzt lieber auf, und ich klammerte mich fest. So einen Irren hat man noch nie am Steuer erlebt! Die Strecke bis Tracy schaffte er in kürzester Zeit. Tracy ist eine Eisenbahnstadt, da essen Bremser und Rangierer miese Mahlzeiten in Imbissbuden an den Schienensträngen. Züge heulen durch das Tal. Die Sonne geht flach und rot unter. All die magischen Namen des San Joaquin Valley rollten ab – Manteca, Madera, all die anderen. Bald kam die Dämmerung, eine weintraubenblaue Dämmerung, ein violettes Dämmerlicht über Mandarinenhainen und langgestreckten Melonenfeldern; die Sonne von einer Farbe wie ausgepresste Weintrauben, durchbrochen von Burgunderrot, die Felder in den Farben von Liebe und spanischen Mysterien. Ich steckte den Kopf aus dem Fenster und atmete in tiefen Zügen die duftende Luft ein. Es war der allerschönste Moment. Der Verrückte war Bremser bei der Southern Pacific und wohnte in Fresno; sein Vater war ebenfalls Bremser bei der Eisenbahn. Seinen Zeh hatte er auf den Güterbahnhöfen von Oakland verloren, beim Rangieren, ich verstand nicht ganz wie. Er fuhr mich ins schwirrende Fresno und ließ mich am Südrand der Stadt aussteigen. Ich ging auf eine schnelle Cola in einen kleinen Laden an den Gleisen, und gerade da kam ein traurig dreinblickender Armenierjunge die Reihe der roten Güterwagen entlang, und genau in diesem Moment jaulte eine Lokomotive, und ich sagte mir: Ja, ja, das ist Saroyans Stadt.
    Ich musste nach Süden; ich stellte mich an die Straße. Ein Mann in einem nagelneuen Lieferwagen nahm mich mit. Er kam aus Lubbock, Texas, und war Vertreter für Wohnwagen. «Wollen Sie einen Wohntrailer kaufen?», fragte er mich. «Jederzeit, kommen Sie zu mir.» Er erzählte Geschichten von seinem Vater in Lubbock. «Eines Abends hat mein Alter die Tageseinnahmen oben auf dem Safe liegenlassen, einfach vergessen. Und was passierte – ein Dieb kam in der Nacht, mit Schweißbrenner und allem, was dazugehört, und knackte den Safe, durchwühlte die Papiere, warf ein paar

Weitere Kostenlose Bücher