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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Marylou war ganz lächelnde Gelassenheit. Dies war der neue und vollständige Dean, reifer und erwachsen geworden. Mein Gott, sagte ich mir, wie hat er sich verändert. Zorn blitzte aus seinen Augen, wenn er von Dingen sprach, die er hasste; funkelnde Freude stattdessen, wenn er sich plötzlich freute; jeder Muskel zuckte vor Leben und Tatendrang. «Oh, Mann, was könnte ich dir alles erzählen», sagte er und stieß mich in die Rippen: «Oh, Mann, wir müssen unbedingt Zeit finden … Was ist mit Carlo passiert? Wir müssen Carlo besuchen, ihr Lieben, gleich morgen früh. Und jetzt, Marylou, brauchen wir Brot und Fleisch, damit wir was zu essen haben bis New York. Hast du Geld, Sal? Wir werfen alles auf den Rücksitz, die Möbel von Mrs.   P., und kuscheln uns vorn ganz eng zusammen und erzählen Geschichten, während wir nach New York sausen. Marylou, du musst mit deinen Honigschenkeln neben mir sitzen, dann Sal und dann, am Fenster, Ed, der lange Ed soll den Fahrtwind abfangen, da kommt ihm mal sein Schlafrock zugute. Und dann stürzen wir uns alle ins Leben, denn jetzt ist die Zeit dafür, und wir alle wissen, was Zeit bedeutet !» Er rieb sich ungestüm das Kinn, schwenkte aus und überholte drei Lastwagen und donnerte in die Innenstadt von Testament, schaute hierhin und dorthin und sah alles im Halbkreis von 180 Grad, ohne den Kopf zu drehen. Zack, hatte er einen Parkplatz gefunden, ohne zu suchen, und wir parkten. Er sprang aus dem Wagen. Wie ein Wilder stürmte er in die Bahnhofshalle; wir trotteten hinterher wie Schafe. Er kaufte Zigaretten. In seinen Bewegungen war er völlig verrückt geworden; es schien, als machte er alles gleichzeitig. Ein Kopfschütteln, seitwärts und rauf und runter, nervös zuckende kräftige Hände, schnelle Schritte, hinsetzen, die Beine übereinanderschlagen und wieder strecken, am Hosenschlitz kratzen, die Hose hochziehen, und schon hob er wieder den Kopf und sagte «Aaah» und kniff plötzlich die Augen zusammen und spähte hierhin und dorthin; und dauernd stieß er mich in die Rippen und redete, redete.
    Es war sehr kalt in Testament, und es lag viel Schnee für die Jahreszeit. Dean stand auf der langen öden Hauptstraße, die an der Eisenbahnstrecke entlangläuft, nur mit einem T-Shirt und hängender Hose bekleidet, den Gürtel aufgeschnallt, als wollte er sie jeden Moment ausziehen. Er kam herüber, mit eingezogenem Kopf, und redete auf Marylou ein; er sprang zurück, fuchtelte mit den Händen vor ihr herum. «O ja, ich weiß! Ich kenne dich, ich kenne dich, Schatz!» Sein Lachen war manisch; es fing dumpf an und endete schrill, genau wie das Lachen eines Irren im Radio, nur rascher und mehr wie ein Kichern. Zwischendurch kehrte er immer wieder zu einem geschäftsmäßigen Ton zurück. Es gab keinen Grund für unsere Fahrt in die Stadt, aber er ließ sich Gründe einfallen. Er hetzte uns herum, Marylou musste Proviant besorgen, ich die Zeitung, wegen des Wetterberichts, Ed Dunkel Zigarren. Dean rauchte gern Zigarren. Er qualmte eine, während er die Zeitung aufschlug, und redete und redete. «Ah, unsere heiligen amerikanischen Quasseltüten in Washington hecken schon wieder Unannehmlichkeiten aus – Äh-hem! – hep-hep!» Und schon sprang er auf und rannte davon, um ein farbiges Mädchen zu sehen, das draußen am Bahnhof vorbeiging. «Seht sie euch an», rief er, zeigte mit halb ausgestrecktem Finger auf sie und fummelte mit blödem Grinsen an sich herum, «was für eine abgefahrene kleine schwarze Schönheit. Ah! Hmm!» Wir stiegen ein und brausten zurück zum Haus meines Bruders.
    Ich hatte mir stille Weihnachten auf dem Land vorgestellt, wie mir bewusst wurde, als wir das Haus wieder betraten und ich den Weihnachtsbaum und die Geschenke sah und den Truthahn im Backofen roch und die Gespräche der Verwandten hörte, aber jetzt hatte das Fieber mich wieder erwischt, und das Fieber hieß Dean Moriarty, und ich war unterwegs, war wieder unterwegs.

zwei
    Wir packten die Möbel meines Bruders hinten in den Wagen und fuhren bei Anbruch der Dunkelheit los. Wir versprachen, in dreißig Stunden wieder da zu sein – dreißig Stunden für tausendsechshundert Kilometer nach Norden und wieder nach Süden. Dean wollte es so. Es war eine harte Fahrt, aber wir merkten es nicht einmal; die Heizung ging nicht, folglich war die Windschutzscheibe vereist; und Dean langte bei einhundertzehn immer wieder hinaus, um sie mit einem Lappen zu wischen und ein Guckloch zu kratzen, damit er die

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