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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Washington und weiter durch die Wildnis Virginias, überquerten, als der Tag anbrach, den Appomattox River und standen um acht Uhr früh vor dem Haus meines Bruders. Und die ganze Zeit war Dean unheimlich begeistert über alles, was er sah, bei allem, was er sagte, über jede Kleinigkeit, jede Minute, die verstrich. Er war außer sich vor rechtem Glauben. «Und natürlich kann niemand uns erzählen, dass es keinen Gott gäbe. Wir sind über alle äußeren Formen hinaus. Weißt du noch, Sal, wie ich zum ersten Mal in New York war und wollte, dass Chad King mir alles über Nietzsche beibringt? Weißt du, wie lange das her ist? Alles ist in bester Ordnung, Gott existiert, wir wissen, was Zeit bedeutet. Alles, was seit den alten Griechen gepredigt wurde, ist falsch. Nicht einmal mit Geometrie und geometrischen Denksystemen kannst du es schaffen. Darauf kommt es an!» Er umschloss seinen Zeigefinger mit der Faust. Der Wagen streichelte gerade und treu den Mittelstreifen. «Und nicht nur das, sondern wir beide wissen, dass ich gar keine Zeit hätte zu erklären, wieso ich weiß und wieso du weißt, dass Gott existiert.» Irgendwann seufzte ich – über die Schwierigkeiten des Lebens –, wie arm meine Familie sei, wie gern ich Lucille helfen würde, die auch so arm sei und eine Tochter habe. «Schwierigkeiten, siehst du, das ist das verallgemeinernde Wort für das, worin Gott existiert. Die Sache ist die, dass du dich nicht verrennen darfst. Oh, mir schwirrt der Kopf!», rief er und presste die Hände an die Schläfen. Er sprang wie Groucho Marx aus dem Wagen, um Zigaretten zu holen – mit diesem ungestümen, die Erde umarmenden Gang und den flatternden Rockschößen, nur dass Dean keine Rockschöße hatte. «Seit Denver, Sal, sind eine Menge Dinge – Oh, all die Dinge, ich habe darüber nachgedacht und immer wieder nachgedacht. Die meiste Zeit war ich in der Besserungsanstalt, ich war ein junger Rabauke, der sich durchbeißen wollte – Autos klauen als psychologischer Ausdruck meiner Situation, nichts als Angabe. Meine Knastprobleme habe ich jetzt ziemlich klar. Ich werde nie wieder im Knast landen, soweit ich sehe. Alles andere ist nicht meine Schuld.» Wir fuhren an einem kleinen Jungen vorbei, der Steine nach den Autos auf der Straße warf. «Denk daran», sagte Dean, «eines Tages wird er einem Mann einen Stein durch die Windschutzscheibe werfen, und der Mann wird einen Unfall bauen und tot sein – alles wegen dieses kleinen Jungen. Siehst du, was ich meine? Gott existiert und hat keine Skrupel. Und während wir hier so dahinrollen, bin ich ohne jeden Zweifel davon überzeugt, dass in allem für uns gesorgt wird, dass alles glattgehen wird, dass selbst du, bei deiner Fahrweise, deiner Angst vor dem Steuer –» ich fuhr nicht gern Auto und fuhr darum sehr vorsichtig – «wie von selbst auf der Spur bleiben wirst und wir nicht im Graben landen werden und dass ich ruhig schlafen kann. Außerdem kennen wir Amerika, wir sind hier zu Hause; ich kann in Amerika überall hingehen, und ich werde bekommen, was ich will, denn es ist überall, in jeder Ecke, das Gleiche, ich kenne die Menschen, ich weiß, was sie tun. Wir geben und nehmen, und wir bewegen uns in der unglaublich komplizierten Süße im Zickzack nach hier und nach dort.» Alles, was er sagte, war unklar, und doch kam das, was er sagen wollte, irgendwie rein und klar zum Ausdruck. Das Wort «rein» führte er dauernd im Mund. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass aus Dean ein Mystiker werden könne. Es waren dies die Anfänge seines Mystizismus, ein Auftakt zu jener seltsamen, wirren, an W. C. Fields gemahnenden Heiligmäßigkeit seiner späteren Tage.
    Selbst meine Tante hörte ihm halb neugierig zu, während wir noch am selben Abend, nachdem wir die Möbel auf dem Rücksitz verstaut hatten, wieder nach Norden, nach New York brausten. Jetzt, da meine Tante im Wagen saß, begnügte sich Dean damit, von seinem Arbeitsleben in San Francisco zu sprechen. Wir erfuhren bis in die kleinsten Einzelheiten, was ein Bremser bei der Eisenbahn zu tun hat, er demonstrierte es jedes Mal, wenn wir an einem Rangierbahnhof vorbeikamen, und einmal sprang er sogar aus dem Auto und zeigte mir, wie ein Bremser in einer Nebengleisweiche das Signal auf freie Fahrt stellt. Meine Tante verzog sich nach hinten und schlief. Um vier Uhr früh, in Washington, telefonierte Dean wieder per R-Gespräch mit Camille in Frisco. Gleich danach, als wir aus Washington rausfuhren,

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