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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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das Mädchen selbst ans Telefon. Sie wollte nur wissen, wie es Ed gehe. Sie machte sich Sorgen, ob er auch glücklich sei.
    «Wie bist du von Tucson nach New Orleans gekommen?», fragte ich. Sie sagte, sie habe sich Geld schicken lassen, von zu Hause, und habe einen Bus genommen. Sie war entschlossen, zu Ed zu stoßen, denn sie liebe ihn. Ich ging nach oben und erzählte dies alles dem langen Ed. Er saß mit bekümmerter Miene im Sessel, ein wahrer Engel von einem Mann.
    «Also gut», rief Dean, der plötzlich aufgewacht war und aus dem Bett sprang, «als Erstes brauchen wir jetzt was zu essen, und zwar sofort. Marylou, lauf in die Küche und sieh nach, was da ist. Sal, wir beide laufen runter und rufen Carlo an. Ed, sieh du zu, ob du die Wohnung in Ordnung bringen kannst.» Ich lief hinter Dean die Treppe hinunter.
    Der Besitzer des Drugstore sagte: «Da war schon wieder ein Anruf für Sie – diesmal aus San Francisco, für einen Dean Moriarty. Ich habe gesagt, dass niemand hier ist mit diesem Namen.» Es war die süße Camille, die es nach Dean verlangte. Der Mann im Drugstore, Sam, ein hochgewachsener Freund von mir und sonst ein ruhiger Typ, sah mich an und kratzte sich am Kopf. «Mensch, was habt ihr da eigentlich laufen – ein internationales Freudenhaus?»
    Dean kicherte irre. «Mann, Sie haben’s erfasst.» Er sprang in die Telefonzelle und meldete ein R-Gespräch nach San Francisco an. Dann riefen wir Carlo in seiner Wohnung auf Long Island an und sagten ihm, er solle rüberkommen. Zwei Stunden später war Carlo da. Inzwischen machten Dean und ich mich für die Rückfahrt nach Virginia fertig, um dort die restlichen Möbel zu holen und meine Tante nach Hause zu bringen. Carlo Marx kam mit Gedichten unter dem Arm, setzte sich in den bequemsten Sessel und sah mit großen, glänzenden Augen zu. Die erste halbe Stunde lang weigerte er sich, ein Wort zu sagen; jedenfalls lehnte er es ab, sich irgendwie festzulegen. Er war ruhiger geworden seit den Tagen seiner Denver-Trübsal; das hatte die Dakar-Trübsal bewirkt. In Dakar, wo er einen Bart getragen hatte, war er mit kleinen Kindern durch Seitengassen gewandert; sie führten ihn zu einem Zauberdoktor, der ihm die Zukunft voraussagte. Er hatte Fotos mitgebracht von wahnsinnigen Gassen mit Grashütten, dem elenden Ende von Dakar. Auf der Rückreise, sagte er, wäre er fast vom Schiff gesprungen, wie Hart Crane. Dean saß mit einer Spieldose auf dem Fußboden und lauschte mit grenzenloser Verwunderung dem kleinen Lied, das sie spielte: «A Fine Romance». «Kleine wirbelnde Klingelingglöckchen – Ah! Hört euch das an! Jetzt beugen wir uns alle darüber und schauen in das Innere der Spieldose, bis wir ihr Geheimnis erforscht haben – klingelingeling, juhu!» Ed Dunkel saß auch auf dem Fußboden; er hatte meine Drumstricks in den Händen, und plötzlich fing er an, leise einen beat zu der Musik aus der Spieldose zu schlagen, den wir kaum hören konnten. Alle hielten den Atem an und lauschten. «Tick … tack … tick-tack … tack-tack. Dean hielt die Hand hinters Ohr, der Mund stand ihm offen. «Ahhh!», sagte er. «Juhuuu!»
    Carlo beobachtete diesen albernen Wahnsinn mit zusammengekniffenen Augen. Plötzlich klatschte er sich die Hand aufs Knie und rief: «Ich habe euch etwas zu verkünden.»
    «Ja? Ja?»
    «Was ist der Sinn dieser Reise nach New York? Was brütet ihr wieder für unerquickliche Sachen aus? Ich meine, Mensch, wohinnen gehest du? Wohinnen gehest du, Amerika, des Nachts in deinem funkelnden Wagen?»
    «Wohinnen gehest du?», echote Dean mit offenem Mund. Wir saßen da und wussten nicht, was wir sagen sollten; es gab nichts mehr zu sagen. Blieb nur noch die Fahrt. Dean sprang auf und sagte, es sei so weit, wir müssten zurück nach Virginia. Er duschte, ich kochte einen Berg Risotto, mit all den Resten, die noch im Hause waren, Marylou stopfte Deans Socken, und dann waren wir so weit. Dean und ich brachten Carlo nach New York hinüber. Wir versprachen ihm, ihn in dreißig Stunden zu besuchen, rechtzeitig zur Silvesternacht. Es war dunkel draußen. Wir setzten Carlo am Times Square ab und fuhren durch den teuren Tunnel zurück nach New Jersey und dann weiter auf dem Highway nach Süden. Dean und ich wechselten uns am Steuer ab, und binnen zehn Stunden schafften wir es nach Virginia.
    «Jetzt sind wir zum ersten Mal seit Jahren allein und können reden», sagte Dean. Und er redete die ganze Nacht. Wie im Traum flogen wir durch das schlafende

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