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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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protestierte, drohte der gemeine Cop, ihn nach Pennsylvania mitzunehmen und unter Anklage zu stellen.
    «Was für eine Anklage?»
    «Das geht Sie nichts an. Machen Sie sich deswegen keine Gedanken, Sie Klugscheißer.»
    Wir mussten die fünfundzwanzig hinblättern. Aber zuvor erbot sich Ed Dunkel, der Schuldige, ins Gefängnis zu gehen. Dean überlegte. Der Cop tobte: «Wenn Sie Ihren Partner ins Gefängnis gehen lassen, bringe ich Sie auf der Stelle nach Pennsylvania zurück. Haben Sie verstanden?» Wir wollten nichts wie weg. «Noch eine Geschwindigkeitsübertretung in Virginia, und ihr seid euren Wagen los», sagte der fiese Cop zum Abschied. Dean war rot im Gesicht. Schweigend fuhren wir davon. Dass sie uns unser Reisegeld weggenommen hatten, war eine direkte Aufforderung zum Klauen. Sie wussten genau, dass wir abgebrannt waren, an der Strecke keine Verwandten hatten und niemanden telegraphisch um Geld anhauen konnten. Die amerikanische Polizei führt einen psychologischen Krieg gegen jene Amerikaner, die nicht in der Lage sind, sie mit imposanten Papieren oder Drohungen zu beeindrucken. Es ist eine Polizei wie zu viktorianischen Zeiten; sie späht durch staubige Fensterscheiben und will alles ausspionieren und kann Verbrechen erfinden, wo es keine sie zufriedenstellenden Verbrechen gibt. «Neun Zeilen Kriminalität, eine Zeile Langeweile», hat Louis-Ferdinand Céline gesagt. Dean war so wütend, er wäre am liebsten noch einmal nach Virginia zurückgefahren und hätte den Cop erschossen, sobald er sich die nötige Waffe besorgt hätte.
    «Pennsylvania!», schnaubte er. «Ich möchte nur wissen, was für eine Anklage das wäre. Landstreicherei, wahrscheinlich; nehmen mir erst mein Geld weg und verklagen mich dann wegen Landstreicherei. Die Kerle machen es sich verdammt einfach. Am Schluss schießen sie dich noch übern Haufen, wenn du dich beschwerst.» Wir konnten nichts machen, außer unsere gute Laune wiederzufinden und die Sache zu vergessen. Und als wir durch Richmond kurvten, vergaßen wir sie, und alles war wieder okay.
    Wir hatten noch fünfzehn Dollar für den Rest der Fahrt. Wir mussten Tramper mitnehmen und sie um Kleingeld für den Sprit anhauen. Mitten in der Wildnis Virginias sahen wir plötzlich einen Mann auf der Straße marschieren. Dean bremste scharf ab und hielt. Ich schaute zurück und sagte, es sei nur ein Penner, der wahrscheinlich keinen Cent in der Tasche habe.
    «Wir nehmen ihn mit, einfach so, zum Spaß», lachte Dean. Der Mann war ein heruntergekommener irrer Typ mit Brille, der herumwanderte und dabei in einem zerfledderten Taschenbuch las, das er im Straßengraben gefunden hatte. Er stieg ein und las einfach weiter; er war unglaublich schmutzig und voller Grind. Hyman Solomon, stellte er sich vor, er wandere durch die USA und klopfe und trat zuweilen an jüdische Türen und verlange Geld. «Gebt mir Geld für Essen, ich bin Jude.»
    Das klappe ganz gut, sagte er, und es stehe ihm ja auch zu. Wir fragten ihn, was er da lese. Er wusste es nicht. Er machte sich nicht die Mühe, auf das Titelblatt des Buches zu schauen. Er starrte nur auf die Wörter, als ob er die wahre Thora gefunden hätte, und zwar dort, wo sie hingehörte – in die Wildnis.
    «Siehst du? Siehst du? Siehst du?», kicherte Dean und stieß mir in die Rippen. «Ich hab dir gesagt, das wird ein Spaß. Alle Typen machen Spaß, Mann!» Wir nahmen Solomon bis nach Testament mit. Mein Bruder wohnte inzwischen in seinem Haus am anderen Ende der Stadt. Wir waren wieder mal auf der langen, tristen Hauptstraße mit dem Eisenbahngleis in der Mitte und den trostlosen, mürrischen Südstaatlern, die vor Werkzeugläden und Discountgeschäften herumstanden.
    Solomon sagte: «Verstehe, ihr braucht ein bisschen Geld, damit ihr eure Fahrt fortsetzen könnt. Wartet nur auf mich, ich gehe mal los und schnorre in einem jüdischen Haus ein paar Dollar zusammen, dann fahre ich mit bis Alabama.» Dean war außer sich vor Begeisterung; er und ich rannten los, um Brot und Käse einzukaufen, für ein Picknick im Auto. Marylou und Ed warteten im Wagen. Zwei Stunden verbrachten wir in Testament und warteten, dass Hyman Solomon sich blicken ließe; er schnorrte irgendwo in der Stadt Geld für sein Brot zusammen, aber wir konnten ihn nicht entdecken. Die Sonne sank rot dem Horizont entgegen.
    Solomon kam nicht, also ließen wir Testament hinter uns. «Da siehst du, Sal, Gott existiert tatsächlich, weil wir immer wieder in dieser Stadt landen,

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