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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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sehr wichtig für mich – ich weiß nicht, was du davon halten wirst – wir sind doch Freunde, nicht wahr?»
    «Klar sind wir das, Dean.» Beinahe errötete er. Endlich rückte er damit heraus: Er wollte gern, dass ich mit Marylou schlief. Ich fragte ihn nicht, warum, denn ich wusste, er wollte nur sehen, wie Marylou bei einem anderen war. Wir saßen in Ritzy’s Bar, als er mit dieser Idee herausrückte; eine Stunde lang waren wir über den Times Square gegangen und hatten nach Hassel Ausschau gehalten. Ritzy’s Bar ist die Ganovenkneipe des Viertels rund um den Times Square; jedes Jahr wechselt sie den Namen. Man spaziert rein und sieht kein einziges Mädchen, nur eine Menge junger Männer in Gaunerklamotten aller Art, von roten Hemden bis zu breitschultrigen Gangstersakkos. Es ist auch die Stricherkneipe – die Jungs verdienen ihr Geld bei den traurigen alten Homos der nächtlichen Eighth Avenue. Dean war hineinspaziert, mit zusammengekniffenen Augen, und hatte jedem Einzelnen ins Gesicht gespäht. Da gab es wilde Negerschwuchteln, mürrische Burschen mit Ballermann, Matrosen mit Messer im Stiefel, ausgemergelte Junkies mit leeren Gesichtern und hier und da auch einen elegant gekleideten Kriminalen mittleren Alters, der sich als Buchmacher ausgab und halb aus Interesse, halb aus Pflicht dort herumlungerte. Eine typische Kneipe für Dean, um mit seinem Vorschlag herauszurücken. Alle möglichen finsteren Pläne werden in Ritzy’s Bar ausgeheckt – du riechst es direkt in der Luft –, und alle Arten von schrägen Sexpraktiken werden so nebenbei in die Wege geleitet. Der Geldschrankknacker schlägt dem Gangster nicht nur ein gewisses Loft in der 14th Street vor, sondern auch, dass sie miteinander ins Bett gehen. Kinsey ist oft in Ritzy’s Bar gewesen und hat manche der Jungen interviewt. Ich habe selbst gesehen, 1945, wie sein Assistent hereinspaziert kam. Auch Hassel und Carlo ließen sich befragen.
    Dean und ich fuhren zu Carlos Wohnung und fanden Marylou im Bett. Ed Dunkel schweifte als Geist durch die Straßen New Yorks. Dean teilte ihr mit, was wir beschlossen hatten. Sie fühle sich geehrt, sagte sie. Was mich betraf, so war ich mir nicht so sicher. Ich musste ihnen beweisen, dass ich die Sache durchziehen konnte. Das Bett war einmal das Sterbebett eines schweren Mannes gewesen und in der Mitte eingesackt. Marylou lag in der Kuhle, und Dean und ich saßen links und rechts von ihr auf den hochgewölbten Rändern der Matratze und wussten nicht, was wir sagen sollten. Ich sagte: «Verdammt, ich kann das nicht machen.»
    «Nur zu, los, Mann, du hast es versprochen», sagte Dean.
    «Was ist mit Marylou?», fragte ich. «Komm, Marylou, was meinst du?»
    «Nur zu», sagte sie.
    Sie umschlang mich mit beiden Armen, und ich versuchte zu vergessen, dass Dean da war. Jedes Mal, wenn mir bewusst wurde, dass er da im Dunkeln saß und auf jedes Geräusch horchte, konnte ich nur lachen. Es war fürchterlich.
    «Wir müssen uns alle entspannen», sagte Dean.
    «Ich fürchte, ich schaff das nicht. Willst du nicht einen Moment in die Küche gehen?»
    Dean tat es. Marylou war so lieb zu mir, aber ich flüsterte: «Warte, bis wir in San Francisco sind und uns lieben. Jetzt ist mein Herz nicht bei der Sache.» Sie wusste, ich hatte recht. Wir waren drei Kinder der Erde, die in der Nacht etwas erzwingen wollten, während die Last vergangener Jahrhunderte in der Dunkelheit über ihnen schwebte. Es war sonderbar still in der Wohnung. Ich ging hinaus, fasste Dean am Arm und sagte, er solle zu Marylou gehen. Ich zog mich auf die Couch zurück. Ich hörte, wie Dean selig drauflosplapperte und sich hochschaukelte. Nur ein Mann, der fünf Jahre im Gefängnis verbracht hat, kann sich in manische Extreme von solcher Hilflosigkeit steigern; flehend an den Pforten der sanften Quelle, verrückt vor einer rein körperlichen Erkenntnis der Ursprünge aller Lebensseligkeit und in dem blinden Versuch, dorthin zurückzukehren, woher er gekommen ist. Dies ist die Folge jahrelangen Anschauens erotischer Bilder hinter Schloss und Riegel, des Starrens auf Beine und Brüste von Frauen in billigen Illustrierten, des Einschätzens der Härte der Eisengitter und der Sanftheit der Frau, die nicht da ist. Im Gefängnis, da verspricht man sich das Recht zu leben. Dean hatte nie das Gesicht seiner Mutter gekannt. Jedes neue Mädchen, jede seiner Frauen, jedes neue Kind vermehrte sein Elend und seine innere Verarmung. Wo war sein Vater, Old Dean

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