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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Schiffsbrücke klettern. Gleich, dachte ich, wird er die Arme ausbreiten und davonfliegen. Überall auf dem Schiff hörte ich sein irres Gelächter: «Hi-hi-hi-hi-hi!» Marylou war bei ihm. Er saugte alles in sich auf und kam zurück mit allen Details, sprang ins Auto, als hinter uns schon ein Hupkonzert losbrach, und wir schossen los, an zwei, drei Autos in einer engen Durchfahrt vorbei, und gleich darauf rollten wir durch die Straßen von Algiers.
    «Wohin? Wohin?», brüllte Dean immer wieder.
    Wir beschlossen, als Erstes zu einer Tankstelle zu fahren und uns zu waschen und dann Old Bull ausfindig zu machen. Kinder spielten im schummerigen Sonnenuntergang am Fluss; Mädchen mit Kopftüchern, in Baumwollblusen und mit nackten Beinen gingen vorbei. Dean rannte auf die Straße, er wollte alles sehen. Er schaute sich um, er nickte, er rieb sich den Bauch. Der lange Ed saß hinten im Wagen, den Hut über die Augen gezogen, und grinste über Dean. Ich hockte auf dem Kotflügel. Marylou war auf der Damentoilette. Von fernen, mit Büschen bewachsenen Ufern, wo winzig kleine Gestalten mit Angelruten standen und fischten, aus Deltaarmen, die sich weit ins rötliche Land erstreckten, wälzte sich der breite bucklige Fluss mit seiner wogenden Hauptströmung heran und wand sich unter einem unbeschreiblichen Donnern wie eine Schlange um Algiers. Das schläfrige Algiers auf seiner Halbinsel, mit all seinen Bienen und Bretterbuden, sah aus, als könnte es eines Tages fortgeschwemmt werden. Die Sonne stand schräg am Himmel, Insekten gaukelten in der Luft, die ehrfurchtgebietenden Wasser rauschten.
    Wir fuhren zu Old Bull Lee hinaus, zu seinem Haus am Flussdeich vor der Stadt. Es lag an einer Straße, die durch sumpfige Felder führte. Das Haus war eine windschiefe alte Bude mit einer abgesackten Veranda, die sich ringsherum zog, und Trauerweiden im Hof. Das Gras stand einen Meter hoch, alte Zäune hingen schief, alte Schuppen drohten einzustürzen. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Wir fuhren gleich auf den Hof und sahen Waschbottiche auf der hinteren Veranda. Ich stieg aus und ging zur Fliegengittertür. Drinnen stand Jane Lee, mit der Hand die Augen gegen die Sonne abschirmend. «Jane», sagte ich, «ich bin’s. Wir sind da.»
    Sie wusste es. «Ja, ich weiß. Bull ist nicht da. Ist das ein Feuer da drüben, oder was?» Wir beide blickten gegen die Sonne.
    «Du meinst die Sonne?»
    «Ich meine natürlich nicht die Sonne – ich hab von dort drüben Sirenen gehört. Siehst du nicht dieses eigenartige Leuchten?»
    Es war die Richtung von New Orleans; die Wolken sahen sonderbar aus.
    «Ich kann nichts sehen», sagte ich.
    Jane rümpfte die Nase. «Ganz der alte Paradise.»
    Dies war unsere Begrüßung nach vier Jahren. Jane hatte früher einmal mit meiner Frau und mir in New York zusammengewohnt. «Und Galatea Dunkel, ist sie da?», fragte ich. Jane spähte noch immer nach ihrem Feuer; in jener Zeit schluckte sie drei Streifen benzedringetränkten Papiers täglich. Ihr Gesicht, früher einmal pummelig und von germanischer Schönheit, war starr geworden, rot und hager. In New Orleans hatte sie sich Kinderlähmung zugezogen und hinkte jetzt leicht. Dean und die ganze Clique stiegen mit dämlichem Grinsen aus und machten es sich mehr oder minder bequem. Galatea Dunkel kam aus ihrer standesgemäßen Residenz im Hinterzimmer und trat ihrem Peiniger entgegen. Galatea war ein ernstes Mädchen. Jetzt sah sie blass und verheult aus. Der lange Ed fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sagte Hallo. Sie sah ihn unverwandt an.
    «Wo warst du? Warum hast du mir das angetan?» Sie bedachte Dean mit einem bösen Blick; sie wusste, was los war. Dean beachtete sie überhaupt nicht. Er dachte jetzt nur ans Essen. Er fragte Jane, ob etwas da sei. Und hier begann das Durcheinander.
    Der arme Bull kam in seinem alten Texas-Chevy und fand sein Haus von Verrückten belagert. Trotzdem begrüßte er mich mit schöner Herzlichkeit, wie ich sie lange nicht mehr bei ihm erlebt hatte. Dieses Haus in New Orleans hatte er von dem Geld gekauft, das er in Texas mit dem Anbau einer schwarzgetupften Erbsensorte verdient hatte, zusammen mit seinem Partner, einem alten Kumpel vom College, dessen geistesgestörter und halbseitig gelähmter Vater gestorben war und ein Vermögen hinterlassen hatte. Bull selbst bezog jede Woche fünfzig Dollar von seiner Familie – nicht übel, wenn er nicht jede Woche die gleiche Summe für seine Drogensucht ausgegeben hätte.

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