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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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einig. Die Reinheit der Landstraße. Der weiße Mittelstreifen auf dem Highway entrollte sich und streichelte unseren linken Vorderreifen, wie angeleimt an unsere Spur. Dean beugte seinen muskulösen Nacken – er trug nur ein T-Shirt in dieser Winternacht –, und jagte den Wagen dahin. Er bestand darauf, dass ich durch Baltimore fuhr, wegen der Fahrpraxis im Stadtverkehr; das war in Ordnung, nur dass er und Marylou das Steuer nicht loslassen wollten, während sie herumknutschten und sich küssten. Es war verrückt; das Radio schmetterte mit voller Lautstärke. Dean trommelte den Rhythmus aufs Armaturenbrett, bis dort eine tiefe Delle entstand; auch ich trommelte. Der arme Hudson – unser ‹Slow Boat to China› – musste was mitmachen!
    «Oh, Mann, wie toll!», schrie Dean. «Nun hör zu, Marylou, mein Schatz, du weißt, ich bin ein Wahnsinnstyp und schaffe alles gleichzeitig, und meine Energie ist grenzenlos – also, in San Francisco jetzt müssen wir zusammenbleiben. Ich weiß genau, wo du hingehörst – ans Ende der täglichen Sklavenarbeit –, ich werde beinahe alle zwei Tage zu Hause sein und dann zwölf Stunden am Stück, und Mann , du weißt ja, was wir in zwölf Stunden alles anstellen können, Schatz. Unterdessen werde ich weiter, als wäre nichts, mit Camille zusammenleben, sie wird’s gar nicht merken. Wir schaffen das schon, wir haben’s früher schon geschafft.» Marylou war mit allem einverstanden, Hauptsache, es ging gegen Camille. An sich hatten wir ja ausgemacht, dass ich Marylou in Frisco übernehmen sollte, doch jetzt wurde mir klar, dass die beiden zusammenbleiben würden, so wie ich am anderen Ende des Kontinents einsam auf meinem Arsch hocken bleiben würde. Aber warum daran denken, wenn das ganze goldene Land vor dir liegt und lauter ungeahnte Dinge nur darauf warten, dich zu überraschen und glücklich zu machen? Sei froh, dass du am Leben bist und sie erleben darfst.
    In der Morgendämmerung kamen wir nach Washington. Es war der Tag, an dem Harry Truman in seine zweite Amtszeit eingeführt wurde. Protzige Schaustücke der Kriegsmacht waren an der Pennsylvania Avenue aufgereiht, als wir dort in unserem ramponierten Kahn vorbeischaukelten. B-29-Bomber, Landungsboote, schwere Geschütze, Kriegsgerät aller Art, das auf dem verschneiten Rasen einen mörderischen Anblick bot; zuletzt kam ein ganz gewöhnliches kleines Rettungsboot, das armselig und ein bisschen blöd aussah. Dean bremste ab, um es sich anzuschauen. Er schüttelte in ehrfürchtigem Staunen den Kopf. «Was haben die Typen hier vor? Harry schläft irgendwo in dieser Stadt … Guter alter Harry … Ein Mann aus Missouri, wie ich … Das muss sein eigener Dampfer sein.»
    Dean haute sich auf den Rücksitz, um zu schlafen, und Dunkel übernahm das Steuer. Wir schärften ihm ausdrücklich ein, sich Zeit zu lassen. Kaum schnarchten wir alle, brachte er die Karre auf hundertdreißig, trotz der schlechten Achsenlager und allem, und nicht nur das, sondern er schlenkerte beim Überholen über drei Fahrbahnen weg, an einer Stelle, wo gerade ein Cop mit einem Autofahrer verhandelte – und war damit auf der vierten Spur eines vierspurigen Highway, und zwar in falscher Richtung. Klar, dass der Cop uns mit heulender Sirene nachsetzte. Wir mussten anhalten. Er befahl uns, ihm auf die Wache zu folgen. Dort war ein fieser Cop, der Dean vom ersten Moment an nicht leiden konnte; er witterte wahrscheinlich den Knastvogel in ihm. Er schickte seine Kollegen hinaus, damit sie Marylou und mich heimlich ausfragten. Sie wollten wissen, wie alt Marylou sei, sie versuchten so etwas wie eine Entführung Minderjähriger zu konstruieren. Aber Marylou hatte ihren Trauschein bei sich. Dann nahmen sie mich beiseite und wollten wissen, wer von uns mit Marylou schlief. «Ihr Ehemann», sagte ich schlicht. Sie waren neugierig. Irgendetwas war faul. Sie versuchten sich als Amateurdetektive und stellten dieselben Fragen zweimal, offensichtlich in der Hoffnung, dass wir uns verplapperten. «Die beiden Männer fahren zurück zur Arbeit, sie sind in Kalifornien bei der Eisenbahn tätig, und das hier ist die Ehefrau des kleineren und ich bin ein Freund, der zwei Wochen Semesterferien hat.»
    Der Cop grinste und sagte: «Yeah? Ist das tatsächlich Ihre Brieftasche?»
    Der gemeine Cop drinnen verknackte Dean schließlich zu fünfundzwanzig Dollar. Wir sagten, wir hätten nur vierzig als Reisegeld bis zur Küste; sie sagten, das sei ihnen egal. Als Dean

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