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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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in Ketten gelegt werden musste. Seine höchste Persönlichkeit war ein britischer Lord, die tiefste der Idiot. Irgendwo in der Mitte war er ein alter Schwarzer, der wartend mit lauter anderen in der Schlange stand und sagte: «Manche Menschen sind Schweinehunde, manche sind’s nicht, ja, so ist das.»
    Bull hatte eine sentimentale Ader für die alten Zeiten in Amerika, besonders für die Jahre um 1910, als man in jedem Drugstore rezeptfrei Morphin kaufen konnte und Chinesen abends am Fenster ihr Opium rauchten und dieses Land noch ungezähmt war, lärmend und frei, als es noch Überfluss und alle Freiheit für jeden gab. Sein ganzer Hass galt der Bürokratie in Washington, und an zweiter Stelle kamen die Liberalen; dann kamen die Cops. Meistens saß er da und redete mit den Leuten und lehrte. Jane saß zu seinen Füßen, ich ebenso und Dean auch; früher einmal auch Carlo Marx. Wir hatten alle von ihm gelernt. Er war ein grauer, unauffälliger Typ, den man auf der Straße kaum bemerkt hätte, sofern man nicht genauer hinsah und seinen verrückten kantigen Schädel erblickte, mit dieser seltsamen Jugendlichkeit – ein Prediger aus Kansas, voller Geheimnisse und von phänomenaler exotischer Glut. Er hatte in Wien Medizin studiert; er hatte Anthropologie studiert und alles gelesen; jetzt hatte er seine Lebensaufgabe gefunden, das Studium der Dinge selbst auf den Straßen des Lebens und in der Nacht. Er saß in seinem Sessel; Jane brachte Drinks, es waren Martinis. Die Vorhänge neben seinem Sessel waren immer zugezogen, bei Tag und bei Nacht – dies war sein Winkel im Haus. Auf seinen Knien lagen die Maya-Codices und ein Luftgewehr, mit dem er manchmal quer durchs Zimmer auf leere Benzedrininhalatoren schoss. Ich lief herum und stellte sie wieder auf. Wir alle schossen, und zwischendurch redeten wir. Er schaute uns an und schnaubte Luft durch die Nase, hrrrumpf , wie ein Geräusch in einem leeren Tank.
    «Also, Dean, sitz mal einen Moment still und sage mir, was das soll, dass du dauernd in der Gegend rumfährst.»
    Dean wurde rot und sagte: «Ah, na ja, du weißt ja, wie es ist.»
    «Sal, warum fährst du an die Küste?»
    «Es ist nur für ein paar Tage. Dann fahre ich zurück und studiere weiter.»
    «Und was ist mit Ed Dunkel? Was ist das für ein Typ?» Zur selben Zeit versöhnte sich Ed mit Galatea im Schlafzimmer; er brauchte dazu nicht lange. Wir wussten nicht, was wir Old Bull über Ed Dunkel sagen sollten. Als er sah, dass wir auch über uns selbst nichts zu sagen wussten, zauberte er drei Joints hervor und sagte, na los, gleich sei das Abendessen fertig.
    «Gibt keinen besseren Appetitmacher auf der Welt. Einmal aß ich bekifft einen ekligen Hamburger aus einem Imbisswagen, und er schien die köstlichste Delikatesse von der Welt. Letzte Woche war ich wieder mal in Houston, bei Dale, um nach unserer Erbsenzucht zu sehen. Ich lag morgens in einem Motel, als ich plötzlich aus dem Schlaf gerissen wurde. So ein verdammter Idiot hatte im Nachbarzimmer seine Frau erschossen. Alle standen verstört rum, und der Typ stieg ins Auto und fuhr einfach weg und ließ die Schrotflinte für den Sheriff am Boden liegen. In Houma schnappten sie ihn endlich, besoffen wie ein Lord. In diesem Land bist du ohne Waffe deines Lebens nicht mehr sicher.» Er schlug sein Jackett zurück und zeigte uns seinen Revolver. Dann zog er eine Schublade auf und zeigte uns sein übriges Arsenal. In New York hatte er eine halbautomatische Maschinenpistole unter dem Bett liegen gehabt. «Jetzt hab ich was Besseres gefunden – eine deutsche Scheintoth-Gaspistole; seht mal, bildschön, aber ich konnte nur eine Patrone kriegen. Mit dieser Waffe könnte ich hundert Männer außer Gefecht setzen und hätte Zeit genug, mich aus dem Staub zu machen. Dummerweise hab ich nur die eine Patrone.»
    «Ich hoffe nur, ich bin nicht da, wenn du sie ausprobierst», rief Jane aus der Küche. «Wie willst du wissen , ob es eine Gaspistole ist?» Bull schnaubte; er reagierte nie auf ihre Geistesblitze, aber er registrierte sie. Die Beziehung zu seiner Frau war sehr merkwürdig: Sie sprachen bis tief in die Nacht, Bull führte das große Wort und redete mit seiner langweilig leiernden Stimme, und sie versuchte etwas einzuwerfen, kam aber nie zum Zug: Gegen Morgen dann schlaffte er ab, und dann sprach Jane, und er hörte ihr zu und schnaubte, hrrrumpf , durch die Nase. Sie liebte den Mann wahnsinnig, aber auf eine ekstatische Art, da gab es kein Getue und Geziere,

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