Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
Vom Netzwerk:
während er sich gebeugt auf die Knie stützte. So lachte und lachte er. «He, Jane!», rief er aufgeräumt. «Ich habe Dean und Sal gerade von meiner Tante in der Kasbah erzählt!»
    «Ich hab’s gehört», rief sie an diesem lieblichen warmen Golf-Morgen durch die Küchentür. Wunderbare große Wolken schwebten am Himmel, Wolken aus den Tälern, und sie vermittelten einem ein Gefühl von der unermesslichen Weite des alten vergammelten heiligen amerikanischen Kontinents, von Flussmündung zu Flussmündung, von Landzunge zu Landzunge. Bull war voll sprudelnder Energie. «Sag mal, habe ich dir schon mal von Dales Vater erzählt? Er war der witzigste alte Knabe, den du je im Leben gesehen hast. Er litt an Parese, die frisst dir den vorderen Teil des Gehirns weg, und am Ende bist du nicht mehr verantwortlich für das, was dir in den Kopf kommt. Er hatte ein Haus in Texas und ließ die Zimmerleute rund um die Uhr arbeiten und neue Seitenflügel anbauen. Mitten in der Nacht sprang er aus dem Bett und sagte: ‹Ich will diesen verdammten Flügel nicht, stellt ihn dort drüben hin.› Die Zimmerleute mussten alles niederreißen und wieder von vorn anfangen. Bei Tagesanbruch sah man sie an dem neuen Flügel hämmern. Dann wurde dem Alten auch das zu viel, und er sagte: ‹Verdammt, ich fahre nach Maine!› Und er stieg ins Auto und raste davon, mit hundertsechzig die Stunde, und Wolken von weißen Hühnerfedern säumten hundertsechzig Kilometer lang seinen Weg. Mitten in Texas hielt er in einer kleinen Stadt und stieg aus, um Whisky zu kaufen. Ringsum hupten die Autos, und er kam aus dem Laden gelaufen und schrie: ‹Schlusch mit dieschem Scheisch-Lärm, blödesch Geschindel!› Er lispelte. Wenn man Parese hat, lipselt man, will sagen, man lispelt. Eines Abends stand er vor meinem Haus in Cincinnatti und drückte auf die Hupe und schrie: ‹Komm raus, wir fahren nach Texas und besuchen Dale!› Da war er gerade aus Maine zurück. Er behauptete, er hätte ein Haus gekauft … Oh, wir haben am College einen Aufsatz über ihn geschrieben, es ging um diesen fürchterlichen Schiffbruch, man sieht Menschen im Wasser schwimmen und sich an das Rettungsboot klammern, und der Alte steht drinnen, mit einer Machete, und hackt ihnen die Finger ab. ‹Schurück, schurück, ihr Schaukerle, dasch ischt mein Boot!› Oh, er war fürchterlich. Ich könnte den ganzen Tag lang Geschichten von ihm erzählen. Sag mal, ist das nicht ein schöner Tag?»
    Und das war es tatsächlich. Eine sanfte Brise wehte vom Deich herüber. Schon deswegen hatte sich die ganze Fahrt gelohnt. Wir gingen mit Bull ins Haus, um die Wand für sein Regal auszumessen. Er zeigte uns den Tisch im Esszimmer, den er gebaut hatte. Er war aus Planken, fast zwanzig Zentimeter stark. «Das ist ein Tisch, der tausend Jahre halten wird!», sagte Bull und wandte uns manisch sein ausgemergeltes Gesicht zu. Er schlug mit der Faust auf den Tisch.
    Am Abend saß er vor diesem Tisch, stocherte in seinem Essen herum und warf die Knochen den Katzen zu. Er hatte sieben Katzen. «Ich liebe Katzen, vor allem die, die kreischen, wenn ich sie über die Badewanne halte.» Er wollte es unbedingt vorführen, aber es war jemand auf dem Klo. «Na», sagte er, «dann eben nicht. Hör mal, ich habe Streit mit den Nachbarn von nebenan.» Und er erzählte uns von den Nachbarn. Es war eine große Sippe mit frechen Kindern, die Steine über den windschiefen Zaun nach Dodie und Ray warfen, manchmal sogar nach Old Bull. Er hatte ihnen gesagt, sie sollten aufhören, worauf der Vater aus dem Haus gestürmt kam und Bull auf Portugiesisch anbrüllte. Bull ging ins Haus und kam mit der Schrotflinte wieder heraus und stützte sich mit würdevoller Miene darauf; die unglaubliche Arroganz in seinen Zügen unter der breiten Hutkrempe, die hinterhältig bescheidene Haltung seiner gekrümmten Gestalt, während er abwartete – ein grotesker einsamer schmächtiger Clown unter den dahinziehenden Wolken. Bei seinem Anblick musste der Portugiese an alte böse Träume gedacht haben.
    Wir stöberten auf dem Hof nach Dingen herum, mit denen wir uns beschäftigen konnten. Es gab da einen mächtigen Zaun, den Bull hatte bauen wollen, als Trennwand gegen die lästigen Nachbarn; er sollte nie fertig werden, die Aufgabe war zu groß. Jetzt rüttelte er daran, um zu zeigen, wie stabil das Ding war. Plötzlich wurde er schlaff und still und ging ins Haus und verschwand im Bad, um sich seine Mittagsspritze zu setzen. Mit

Weitere Kostenlose Bücher