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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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nur immer Gespräche und eine sehr tiefe Freundschaft, die keiner von uns je würde ergründen können. Die merkwürdige Distanziertheit und Kühle zwischen ihnen war in Wirklichkeit eine Art Humor, durch die sie mit feinen Schwingungen kommunizierten. Liebe ist alles; Jane entfernte sich nie weiter als drei Meter von Bull, und sie ließ sich kein Wort von ihm entgehen – dabei sprach er mit sehr leiser Stimme.
    Dean und ich schwärmten von einer tollen Nacht in New Orleans und wollten, dass Bull uns herumführte. Er dämpfte unsere Erwartungen. «New Orleans ist eine sehr trübselige Stadt. Es ist verboten, ins Schwarzenviertel zu gehen. Die Bars sind unsagbar langweilig.»
    Ich sagte: «Es muss doch ein paar optimale Bars in der Stadt geben.»
    «Die optimale Bar gibt es nicht in Amerika. Eine optimale Bar ist etwas, das aufgehört hat zu existieren. Neunzehnzehn war eine Bar ein Ort, wo die Männer sich während oder nach der Arbeit trafen, kaum mehr als eine lange Theke, ein Messinggeländer, Spucknäpfe, ein Klavier für die Musik, ein paar Spiegel an den Wänden und Fässer voll Whisky für zehn Cent das Glas und Fässer mit Bier für fünf Cent pro Krug. Jetzt gibt es nur noch Chrom, betrunkene Frauen, Tunten, abweisende Barmänner, ängstliche Besitzer, die vor der Tür herumflattern, besorgt um ihre Lederpolster und wegen der Polizei; nichts als Geschrei zur falschen Zeit und tödliche Stille, wenn ein Fremder zur Tür hereinkommt.»
    Wir stritten uns über Bars. «Na, schön», sagte er. «Heute Abend nehme ich euch mit nach New Orleans und zeige euch, was ich meine.» Und absichtlich führte er uns in die stumpfsinnigsten Kneipen. Jane ließen wir bei den Kindern; das Abendessen war vorbei, und sie las die Stellenanzeigen der Times-Picayune von New Orleans. Ich fragte, ob sie einen Job suche, sie sagte nur, es sei der interessanteste Teil der Zeitung. Bull fuhr mit uns in die Stadt und redete weiter drauflos. «Immer langsam, Dean, wir kommen noch rechtzeitig, hoffe ich. Ah, da ist die Fähre, du brauchst die Karre nicht in den Fluss zu setzen.» Er klammerte sich fest. Mit Dean sei es schlimmer geworden, vertraute er mir an. «Er scheint mir unterwegs zu sein zu seiner schicksalhaften Bestimmung, nämlich einer Zwangspsychose, mit einem Schuss psychopathischer Verantwortungslosigkeit und Gewalttätigkeit.» Er schielte aus dem Augenwinkel zu Dean hinüber. «Falls du mit diesem Verrückten nach Kalifornien fährst, wirst du nie ankommen. Warum bleibst du nicht bei mir, in New Orleans? Wir könnten drüben in Graetna auf Pferde wetten und uns in meinem Garten ausruhen. Ich habe einen Satz hübscher Messer und bin dabei, eine Zielscheibe zu bauen. Wir holen uns ein paar hübsche, flotte Mädchen aus der Stadt, falls du zurzeit auf so was Lust hast.» Er schnaubte. Wir waren jetzt auf der Fähre, und Dean stieg aus und beugte sich über die Reling. Ich folgte ihm, aber Bull blieb sitzen und schnaubte, hrrrumpf . Ein geheimnisvoller Geisternebel hing an diesem Abend über der braunen Flut mit ihrem noch dunkleren Treibholz; New Orleans am anderen Ufer glitzerte orangerot und hell, und am Rand der Stadt schimmerten geisterhaft vom Nebel verhüllte Cereno-Schiffe mit spanischen Aufbauten und verziertem Heck – bis man näher kam und sah, dass es nur alte Frachter aus Schweden und Panama waren. Das Feuer unter den Kesseln der Fähre glühte in der Nacht; die selben Schwarzen schwangen die Schaufel und sangen. Mein alter Freund Big Slim Hazard hatte einmal auf der Algiers-Fähre als Decksmann gearbeitet; außerdem musste ich an Mississippi Gene denken. Und während der große Fluss unter dem Licht der Sterne dahinströmte, von der Mitte Amerikas her, wusste ich – wusste ich mit irrsinniger Klarheit, dass alles, was ich je gesehen hatte und jemals sehen würde, eins war. Sonderbar war auch, dass an dem Abend, an dem wir mit Bull Lee auf der Fähre übersetzten, ein Mädchen von Bord sprang und Selbstmord beging; entweder kurz vor oder kurz nach uns – wir lasen es am nächsten Tag in der Zeitung.
    Wir zogen mit Old Bull durch all die trostlosen Bars im französischen Viertel und waren gegen Mitternacht wieder zu Hause. In dieser Nacht nahm Marylou alles, was es nur gibt, Gras, Schlaftabletten, Benzedrin, Schnaps, und bat Old Bull sogar um einen Schuss Morphium, den er ihr natürlich nicht gab; was er ihr gab, war ein Martini. Sie war so abgefüllt mit allen möglichen Stoffen, dass sie einen Stillstand

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