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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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dunklen Veranden der Häuser vorbei, wo die Mexikaner und die Schwarzen wohnten; leise Stimmen dort, manchmal im Schatten das Knie eines geheimnisvoll sinnlichen Mädchens und dunkle Gesichter von Männern hinter Rosenspalieren. Kleine Kinder saßen wie uralte Weise in altertümlichen Schaukelstühlen. Eine Gruppe schwarzer Frauen lief vorbei, und eine der Jüngeren löste sich von den mütterlich wirkenden Älteren und kam rasch auf mich zu: «Hallo, Joe!» Und sah plötzlich, dass ich nicht Joe war, und lief errötend zurück. Ich wünschte mir, ich wäre Joe gewesen. Doch ich war nur ich selbst, Sal Paradise der Traurige, der durch die violette Dunkelheit, diese unerträglich süße Nacht schlenderte und sich wünschte, er könnte mit all den glücklichen, treuherzigen, ekstatischen Schwarzen Amerikas die Welten tauschen. Die heruntergekommenen Viertel erinnerten mich an Dean und Marylou, die diese Straßen so gut aus ihrer Kindheit kannten. Wie wünschte ich mir, ich könnte sie wiederfinden.
    Unten an der 23rd Street, Ecke Welton, war ein Softballspiel im Gang, unter Flutlichtern, die auch den Gasometer beleuchteten. Eine erwartungsvolle Menschenmenge brüllte bei jedem Run . All die seltsamen jungen Helden auf dem Feld, Weiße, Schwarze, Mexikaner, reine Indianer, spielten so herzergreifend ernsthaft. Spielplatzkinder im Mannschaftstrikot. Nie in meinen Jahren als Sportler hätte ich mir erlaubt, so vor Angehörigen und Freundinnen und Jugendlichen aus der Nachbarschaft aufzutreten, bei Nacht, unter Flutlicht; immer war es am College gewesen, immer nur Punkte, mit ernstem Gesicht; keine jungenhafte, menschliche Freude wie hier. Jetzt war es zu spät. Nicht weit von mir saß ein alter Schwarzer, der sich offenbar jeden Abend die Spiele anschaute. Neben ihm ein alter weißer Landstreicher; dann eine mexikanische Familie, dann ein paar Mädchen, ein paar Jungen – die ganze Menschheit, das Volk. Oh, die Traurigkeit der Lichter dieser Nacht! Der junge Pitcher sah aus wie Dean. Eine hübsche Blonde auf der Tribüne sah aus wie Marylou. Das war die Nacht von Denver, und uns blieb nichts als der Tod.
    Unten in Denver, unten in Denver
    Blieb mir nichts als der Tod.
    Auf der anderen Straßenseite saßen ganze Familie von Schwarzen auf den Stufen vor ihren Haustüren und redeten und schauten durch die Blätter der Bäume zum nächtlichen Sternenhimmel hinauf; sie entspannten sich in der milden Luft und verfolgten manchmal das Spiel. Viele Autos fuhren durch die Straße und hielten vorn an der Ecke, wenn die Ampel auf Rot sprang. Ich spürte die Erregung, die Luft war erfüllt von den Schwingungen eines wirklich fröhlichen Lebens ohne Enttäuschung, ohne «weiße» Sorgen und alles. Der alte Schwarze hatte eine Bierdose in der Jackentasche, die er jetzt öffnete; und der alte Weiße schielte neidisch nach der Dose und kramte in seiner Tasche, ob er sich auch eine leisten könnte. Wie tot ich mich fühlte! Ich ging fort.
    Ich besuchte ein reiches Mädchen, das ich kannte. Am Morgen zog sie einen Hundertdollarschein aus ihrem Seidenstrumpf und sagte: «Du hast von einem Trip nach Frisco geredet. Wenn es so ist, wie du sagst, nimm das hier und fahr los, und viel Spaß.» Also waren alle meine Probleme gelöst, ich fand bei der Zentrale eine Mitfahrgelegenheit für elf Dollar Benzinbeteiligung bis Frisco und sauste wieder einmal durchs Land.
    Zwei Kerle fuhren diesen Wagen; sie seien Zuhälter, sagten sie. Zwei andere Burschen waren Mitfahrer wie ich. Wir saßen eng und konzentrierten unsere Gedanken auf das Ziel. Über den Bertoud Pass ging es hinunter auf das große Plateau, Tabernash, Troublesome, Kremmling; über den Rabbit Ears Pass nach Steamboat Springs und weiter; achtzig Kilometer eine staubige Umleitung; dann Craig und die große amerikanische Wüste. Als wir die Grenze von Colorado nach Utah überquerten, sah ich am Himmel Gott in der Gestalt riesiger, golden sonnenglühender Wolken über der Wüste; sie deuteten, so schien es, mit einem Finger auf mich und sagten: «Schreite voran, du bist auf der Straße zum Himmel.» Aber ach, was mich mehr interessierte, waren ein paar alte verrottete Eisenbahnwaggons und Billardtische, die bei einem Coca-Cola-Stand in der Wüste von Nevada standen; ich sah Hütten mit verwitterten Schildern, die noch immer im geisterhaft unheimlichen Wüstenwind flatterten und verkündeten: «Hier wohnte Rattlesnake Bill» oder: «Hier hielt sich Broken-mouth Annie jahrelang versteckt.»

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