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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Genau, zack, vorbei. In Salt Lake City kontrollierten die Zuhälter ihre Mädchen, und wir fuhren weiter. Bevor ich’s begriff, sah ich wieder einmal die sagenhafte Stadt San Francisco, vor mir hingestreckt an der Bay in der Mitte der Nacht. Ich lief sofort zu Dean. Er hatte inzwischen ein kleines Haus. Ich brannte darauf zu hören, was er im Sinn hatte und was jetzt passieren würde, denn es gab nichts mehr, was mich mit früher verband, alle Brücken waren abgebrochen, und alles war mir egal. Um zwei Uhr morgens klopfte ich an seine Tür.

zwei
    Splitternackt kam er an die Tür, und wenn der Präsident der Vereinigten Staaten angeklopft hätte, ihm war es egal. Er empfing die Welt, wie Gott ihn geschaffen hatte. «Sal!», rief er, ehrlich erstaunt. «Hätte ich nicht gedacht, dass du es schaffst. Endlich bist du zu mir gekommen.»
    «Jaja», sagte ich. «Bei mir ist alles in Auflösung. Wie steht’s bei dir?»
    «Nicht so gut, nicht so gut. Aber wir haben tausend Sachen zu bereden. Sal, endlich ist es so weit, dass wir miteinander reden und klarkommen.» Wir stimmten überein, dass es an der Zeit war, und gingen ins Haus. Meine Ankunft war wie der Auftritt des fremden bösen Engels im Tempel zum schneeweißen Vlies, und sofort fingen Dean und ich unten in der Küche an, aufgeregt miteinander zu reden, was uns Schluchzer von oben einbrachte. Alles, was ich zu Dean sagte, fand als Antwort ein wildes, geflüstertes, bebendes «Ja!» Camille wusste, was nun passieren würde. Anscheinend war Dean ein paar Monate ruhig geblieben; jetzt war der böse Engel gekommen, jetzt würde er wieder durchdrehen. «Was ist los mit ihr?», flüsterte ich.
    Er sagte: «Es wird immer schlimmer mit ihr, Mann, sie heult und kriegt Wutanfälle, sie will nicht, dass ich Slim Gaillard hören geh, wird jedes Mal sauer, wenn ich zu spät komme, wenn ich aber zu Hause bleibe, will sie nicht mit mir reden und sagt, ich sei das letzte Schwein.» Er lief hinauf, um sie zu trösten. Ich hörte Camille kreischen: «Du bist ein Lügner, du bist ein Lügner, du bist ein Lügner!» Ich nutzte die Gelegenheit, mir das tolle Haus, das sie hatten, anzusehen. Es war ein windschiefes, halb verfallenes zweigeschossiges Holzhaus inmitten von Mietskasernen, hoch auf dem Russian Hill, mit Blick über die Bay. Das Haus hatte vier Zimmer, drei oben und eine riesige Wohnküche unten. Die Küchentür ging auf einen mit Gras bewachsenen Hof hinaus, wo Wäscheleinen hingen. Neben der Küche befand sich ein Abstellraum, wo Deans alte Schuhe standen, noch immer zentimeterdick mit dem Schlamm von Texas verkrustet, von der Nacht, als der Hudson am Brazos River steckengeblieben war. Der Hudson war natürlich futsch; Dean hatte es nicht geschafft, weitere Raten zu zahlen. Nun hatte er gar kein Auto. Außerdem war ihr zweites, nicht geplantes Baby unterwegs. Es war schrecklich, Camille so schluchzen zu hören. Wir konnten es nicht ertragen und gingen Bier holen und setzten uns in die Küche. Camille schlief endlich ein oder starrte die Nacht lang blind ins Dunkel. Ich hatte keine Ahnung, was schief gelaufen war, außer dass Dean sie vielleicht doch in den Wahnsinn getrieben hatte.
    Nach meiner letzten Abreise aus Frisco war er wieder wie verrückt hinter Marylou her und lungerte monatelang vor ihrer Wohnung an der Divisadero Street, wo sie jeden Abend einen anderen Matrosen bei sich hatte und er durch den Briefkastenschlitz spähen und ihr Bett sehen konnte. Dort sah er Marylou jeden Morgen mit einem Kerl liegen. Er verfolgte sie durch die ganze Stadt. Er wollte den absoluten Beweis, dass sie eine Hure war. Er liebte sie, er litt Qualen ihretwegen. Schließlich bekam er versehentlich schlechten Shit, wie die Dealer sagen, in die Finger – grünes, unfermentiertes Marihuana –, und rauchte zu viel davon.
    «Am ersten Tag», sagte er, «lag ich steif wie ein Brett im Bett und konnte mich weder rühren noch ein Wort sagen; ich starrte nur mit weit offenen Augen an die Decke. Ich hörte ein Brummen im Kopf und hatte alle möglichen wunderbaren Visionen in Technicolor und fühlte mich bestens. Am zweiten Tag stürmte alles, aber auch ALLES, was ich jemals getan oder erfahren oder gelesen oder gehört oder vermutet hatte, wieder auf mich ein und arrangierte sich neu in meinem Kopf, auf eine völlig neue logische Art, und weil ich in meinem inneren Drang, dieses Staunen und dieses Gefühl der Dankbarkeit festzuhalten und zu pflegen, nichts anderes denken konnte, sagte ich

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