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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Klasse drei-A, der jazzbegeisterte Dean Moriarty hat einen müden Arsch, muss sich von seiner Frau jeden Tag Penizillin für seinen Daumen spritzen lassen, was zu allergischen Ausschlägen führt. Sechzigtausend Einheiten von Sir Flemings Saft muss er sich binnen eines Monats verpassen lassen. Alle vier Stunden schluckt er eine Pille, einen Monat lang, um die Allergie zu bekämpfen, die dieses Zeug hervorruft. Er muss Kodein und Aspirin schlucken zur Linderung der Schmerzen im Daumen. Er muss sich am Bein operieren lassen, wegen einer entzündeten Zyste. Er muss nächsten Montag um sechs Uhr früh aufstehen, um sich vom Zahnarzt die Zähne polieren zu lassen. Er muss zweimal pro Woche zum Fußdoktor. Er muss jeden Abend Hustensaft nehmen. Er muss sich dauernd schnauben und sich schnäuzen, um die Nase freizukriegen, die am Sattel eingefallen ist, wo eine Operation vor ein paar Jahren den Nasenrücken geschwächt hat. An seiner Wurfhand ist der Daumen futsch. Der größte Siebzig-Meter-Werfer in der Geschichte der Besserungsanstalt von New Mexico. Und doch – und doch ist es mir nie besser gegangen, nie war ich glücklicher und zufriedener mit der Welt, ich freue mich, wenn ich niedliche kleine Kinder in der Sonne spielen sehe, und ich bin so froh, dich wiederzusehen, mein lieber, guter, ausgeflippter Sal, und ich weiß, ich weiß einfach, dass alles gut werden wird. Morgen zeig ich sie dir, meine wunderbare liebe wunderschöne Tochter, sie kann schon allein stehen, dreißig Sekunden, ohne Hilfe, sie wiegt zehn Kilo und ist zweiundsiebzig Zentimeter groß. Und ich habe ausgerechnet, sie ist einunddreißigeinviertel Prozent Engländerin, siebenundzwanzigeinhalb Prozent Irin, fünfundzwanzig Prozent Deutsche, achtdreiviertel Prozent Holländerin, siebeneinhalb Prozent Schottin, einhundert Prozent wunderbar.» Er gratulierte mir zu meinem fertigen Buch, das vom Verlag schon angenommen worden war. «Wir kennen das Leben, Sal, wir werden langsam älter, jeder von uns, wir wissen Bescheid. Und ich verstehe gut, was du mir von deinem Leben erzählst, ich habe deine Gefühle immer verstanden, und jetzt bist du tatsächlich so weit, dich mit einem wunderbaren Mädchen zusammenzutun, wenn du sie nur finden kannst, und du wirst gut zu ihr sein und dafür sorgen, dass sie deine Seele achtet, genauso wie ich mich immer so bemüht habe, bei meinen verdammten Frauen, oh, Scheiße! Scheiße! Scheiße!», schrie er.
    Am nächsten Morgen warf Camille uns beide raus, samt Gepäck und allem. Angefangen hatte es damit, dass wir Roy Johnson anriefen, den alten Kumpel aus Denver; er war auf einen Drink herübergekommen, während Dean sich um das Baby kümmerte und das Geschirr spülte und auf dem Hof die Wäsche wusch, wenn auch ziemlich schlampig in seiner Aufgeregtheit. Johnson war bereit, uns nach Mill City zu fahren, wo wir bei Remi Boncœur vorbeischauen wollten. Camille kam von ihrem Job als Sprechstundenhilfe nach Hause und musterte uns mit dem traurigen Blick einer vom Leben überforderten Frau. Ich wollte der armen Seele beweisen, dass ich’s nicht böse meinte, mit ihr und ihrem trauten Familienleben, und sagte freundlich hallo und sprach herzlich mit ihr, aber sie wusste, dass es Mache war, wie ich’s vielleicht von Dean gelernt hatte, und bedachte mich nur mit einem knappen Lächeln. Am nächsten Morgen gab es eine furchtbare Szene: Sie lag im Bett und schluchzte, und mittendrin musste ich plötzlich dringend auf die Toilette, und der einzige Weg dorthin führte durch ihr Zimmer. «Dean, Dean», rief ich, «wo ist die nächste Bar?»
    «Bar?», fragte er überrascht; er stand in der Küche am Spülstein und wusch sich die Hände. Er glaubte, ich wolle mich betrinken. Als ich ihm meine Notlage erklärte, sagte er: «Geh doch schon, das macht sie dauernd.» Das brachte ich aber nicht fertig. Ich ging hinaus und suchte eine Kneipe; vier Blocks lief ich den Russian Hill rauf und runter und fand nichts als Waschsalons, chemische Reinigungen, Eisdielen, Schönheitssalons. Ich lief zurück zu dem windschiefen kleinen Haus. Die beiden brüllten sich gegenseitig an, während ich dämlich grinsend durchs Zimmer schlüpfte und die Klotür von innen verriegelte. Wenig später warf Camille im Wohnzimmer Sachen von Dean auf den Fußboden und sagte ihm, er solle packen. Verblüfft entdeckte ich ein großes Ölbild von Galatea Dunkel an der Wand über dem Sofa. Und ich begriff, dass diese beiden Frauen seit Monaten in ihrer Einsamkeit

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