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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Umständen leben konntest. Die Straßen sind enger, die Gebäude kleiner, als du sie in Erinnerung hattest. Als kämst du nach Liliput zurück. Und denk mal an die Zimmer. Denk an das winzige Badezimmer, das sich die ganze Familie teilt, die Großeltern, der Onkel, der ein Spürchen pazzo ist. Aber was siehst du noch? Diese Leute, für die du kaum einen Blick übrig hast. Wie kannst du sie deutlich erkennen? Kannst du nicht.«
    »Kann ich nicht.«
    »Und du willst mich fragen, warum ich immer noch hier bin. Ich begegne deiner Mutter im Supermarkt, und wir sprechen darüber. Wir wollen mit diesem ganzen Kram nichts zu tun haben, von wegen die alten Straßen betrauern. Wir haben uns entschieden. Wir beschweren uns, aber wir trauern nicht, wir weinen nicht. Es gibt hier Dinge, Menschen mit den höchsten menschlichen Qualitäten, ohne daß es irgendwer bemerkt, denn wer kommt schon deswegen her? Ich bin zu verwurzelt, um fortzugehen. Ich spreche nur für mich selbst, ich bin zu verwurzelt, zu beschränkt. Mein Geist ist offen für absolut alles, aber mein Leben nicht. Ich will mich nicht anpassen. Ich bin ein alter römischer Stoiker. Aber ich war ja immer zu alt, zu beschränkt. Klara hat mich deshalb immer angegriffen.
    Nicht angegriffen, gescholten, gedrängt, die Dinge anders zu sehen.«
    »Redet ihr noch miteinander?«
    »Nein. Geh mal zur Arthur Avenue, Matty. Schau dir die Läden an und die Leute, die einkaufen, die Leute, die den Fisch abwiegen und das Fleisch schneiden. Das wird dich aufmuntern. Ich habe deine Mutter neulich zum Schweinemetzger mitgenommen, um ihr die Decke zu zeigen. Hunderte von Salamis hingen da, solch ein Überfluß, eine Fülle, der Ort wimmelte von Gerüchen und Fleischsorten, die Decke war restlos voll. Ich sagte, schau mal, Rosemary. Eine gotische Kathedrale aus Schweinefleisch.«
    Sie gaben sich an der Tür die Hand.
    »Früher hast du eine Brille getragen, Albert.«
    »Ich habe sie nicht unbedingt gebraucht. Ich brauchte sie ein bißchen. Sie gehörte zu meinem Lehrerzubehör. Meiner Ausstaffierung. Nimm den Fahrstuhl.«
    »Der funktioniert nicht.«
    »Der funktioniert nicht. Dann wirst du wohl zu Fuß gehen müssen. Aber säume nicht«, sagte Bronzini mit glänzenden Augen. »Im Wald lauern Gefahren.«
    Matt kaufte fürs Abendessen ein und machte sich dann auf den Rückweg zum Haus seiner Mutter, direkt auf das westliche Ende des Zoos zu. Hoch oben über den Bäumen sah er die Überreste eines Düsenschweifs, der Dampf verlor seine Form, breitete sich langsam aus und zerfledderte, und natürlich dachte Matt an die Wüste, die Reichweite der Waffen und die Flugbahnen und daß die Kondensstreifen am Himmel das einzige Zeichen menschlichen Strebens waren, das er weit und breit sehen konnte, ein Stadtjunge beim Zelten, der seinen Seelenkampf ins Hinterland hinaustrug, und das Mach-2-Donnern kam himmelklatschend hernieder, und der Dampf bildete eine eisige Spur am Firmament.
    Das Band wurde wieder gezeigt. Der Fernseher lief in dem leeren Zimmer, und sie sendeten das Band wieder, sie zeigten das Opfer am Steuer, den beliebigen Mann in dem mittelgroßen Dodge, von neuem lebendig im Sonnenlicht – sie zeigten es ein weiteres Mal.
    Matt kam herein, überrascht, daß der Fernseher lief, und er setzte sich auf den Hocker beim Bildschirm. Wenn der Fernseher an war, konnte er sich nicht davon abwenden. Wenn er nicht an war, dachte er nicht mal daran. Dann stellte er sich in seinem Supermarkt zu Hause in die Schlange, und da sendeten sie es wieder, auf den Monitoren, die sie aufgestellt hatten, um die Kunden an den Kassen zu unterhalten – neun Monitoren, zehn Monitoren, die alle das Band zeigten.
    Aber diesmal war etwas anders. Es gab eine darübergelegte Stimme, kaum hörbar, und er sah sich um, auf der Suche nach der Fernbedienung. Er betätigte den Knopf ein paarmal, und die Stimme wurde lauter, und sie hatte etwas an sich, das zu dem Band paßte. Sie war genauso nackt, wie das Band nackt war. Eine Männerstimme, flach und entblößt, sagte irgend etwas über das Wetter.
    Eine Reihe von Wörtern erschien auf dem unteren Rand des Bandes.
    DIE STIMME DES TEXAS-HIGHWAY-KILLERS LIVE AM TELEFON.
    Die Stimme fragte nach dem Wetter in Atlanta. Schnitt vom Videoband zur Live-Aufnahme eines Gesichts an einem Schreibtisch, einer Frau mit roten Haaren und unglaublichen grünen Augen. Die Moderatorin. Die Moderatorin teilte dem Anrufer mit, daß die Wettervorhersage Regen meldete.
    Dann sagte sie: »Es

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