Unterwelt

dir die Grundzüge beigebracht, aber ich hab mich gefragt, war er ein ernsthafter Spieler. Ich kannte ihn nicht gut genug, um das Thema anzuschneiden, irgendein Thema. Er war kein Mensch, der, sagen wir, zum Nachfragen ermutigte.«
    Die Augen bizzelten wie Sprudelwasser.
    »Er hat mir ganz schön was beigebracht. Wir haben Eröffnungen geübt und viele Partien gespielt. Zum Spaß spielten wir Blitzschach. Er nannte es die Schnellbahn.«
    Als sein Vater rausging, um Zigaretten zu holen, kam Matt gerade in die zweite Klasse. Er fand ein Buch mit Schachaufgaben, das Jimmy in einem Schreibtisch aufbewahrt hatte. Das war eine wichtige Entdeckung, und er arbeitete sich durch das Buch, saß vor dem Spielbrett und schob die Holzfiguren hin und her. Sein Bruder pflegte hereinzukommen, die Figuren vom Brett zu fegen und ohne ein Wort wieder zu gehen. Matty hob sie auf und setzte sie auf genau dieselben Positionen wie zuvor. Zum Beispiel lernte er die Verteidigung von Schwarz. Sein Bruder kam herein, fegte die Figuren vom Brett und ging wieder.
    »Deine Mutter hat mich darum ersucht. Aber du warst ein Problem«, sagte Bronzini. »Ich brauchte Hilfe, um mit dir fertigzuwerden.«
    »Harter Brocken.«
    »Flatterhaft, allerdings, hast sehr schnell meinen Rat verworfen. Natürlich hast du Dinge erkannt, die ich nicht sah. Du hattest beachtliche Fähigkeiten und Einsichten. Für mich war das anregend, aber auch demütigend. Mir fehlte das tiefe Einfühlungsvermögen des Meisterspielers.«
    »Als Team waren wir vielleicht ein bißchen wacklig. Aber ein paar Jahre haben wir doch durchgehalten. Eine kleine Kostprobe vom Ruhm haben wir bekommen, Albert. Ich kann dir sagen, diesen kleinen Jungen kann ich nicht leiden. Ich denke nicht gern an ihn.«
    »Ab und zu vertiefe ich mich in die Theorie. Ich lese etwas über die Geschichte des Spiels. Die Persönlichkeit des Spiels. Dieses Spiel ist unglaublich feindselig.«
    »Irgendwann begann ich die Sprache zu hassen«, sagte Matt. »Du zermalmst deinen Gegner. Es geht nicht um Gewinnen oder Verlieren. Du zermalmst ihn. Du vernichtest ihn. Du entblößt ihn seiner Würde, seiner Männlichkeit oder Weiblichkeit, du zerstörst ihn, du stellst ihn öffentlich bloß als minderwertiges Wesen. Und dann strahlst du ihm ins Gesicht. All die Dinge, die mir immer ein so unverhülltes Vergnügen bereiteten, habe ich allmählich gehaßt.«
    »Weil du anfingst zu verlieren«, sagte Albert.
    Natürlich hatte er recht, und Matt lachte. All diese konzentrierte Macht, das implosive Leben des Brettes, schwarz und weiß, die autokratische Schönheit des Gewinnens, eine Brustvoll unverhohlenen Stolzes – er schlug Männer jungen, die Alten und Weisen, die Kraftvollen und Schnellen, die freundlich-muffigen Dichter der Kaffeehausboheme. Doch dann, mit zehn oder elf, erlebte er, wie seine Kanten langsam unscharf wurden, und er mußte einige Niederlagen einstecken, der Wind drehte sich gründlich, und es machte ihn krank und schlapp.
    »Die Konkurrenz änderte sich. Wir fanden bessere Gegner für dich.«
    »Und ich wurde langsamer.«
    »Deine Entwicklung stieß an eine Wand. Nein, keine Wand. Aber sie wuchs nicht mehr im Quadrat.«
    Matt schaute hinaus auf den Spielplatz, verblüfft über die Verelendung, das Basketballfeld voller Schlaglöcher, leer, nur ein Korbbrett stand noch. Direkt unter ihm der alte Bocciaplatz, von Unkraut überwuchert. Alles leer. Auf der zweiten Ebene das Softballfeld, asphaltheiß und leer, eine schwere, sengende Trägheit, blitzende Glasscherben auf der dunklen Oberfläche, zwei oder drei Männer, er sieht sie vor sich, sie stehen beim Zaun am linken Außenfeld, in irgendwie tödlicher Pose wie Gestalten aus einem Italo-Western, schlank, namenlos, unrasiert – bei denen wurde die Sprache der Lebenserwartung wohl kaum gesprochen.
    Er sagte: »Ich bin rumgelaufen. Es ist kompliziert. Ich merke, wie ich versuche, der Standardreaktion zu widerstehen.«
    »Du willst nicht schockiert sein. Es widerstrebt dir, jemandem die Schuld zu geben. Aber du bist durch die alten Straßen gegangen.«
    »Ja.«
    »Du hast dein altes Haus gesehen. Die Häßlichkeit ringsherum. Das leere Grundstück mit dem NATO – Draht.«
    »Ja.«
    »Die Männer. Wer sind sie, stehen da rum und tun nichts ? Arme Leute. Sehr schockierend.«
    »Allerdings«, sagte Matt.
    »Und das waren deine Straßen. Eigenartiger Durchgangsritus, nicht? Die alten Orte besuchen. Zuerst fragst du dich, wie du so klaglos in so beengten